Es beginnt wie in einem Polit-Thriller und letztendlich war es auch so: Der unbequeme Kritiker des herrschenden Regimes wird vergiftet. Wie hat er es geschafft, die selbsternannten Herrscher im Kreml derart gegen sich aufzubringen? Und nicht nur das! Nachdem er diesen Anschlag auf sein Leben überlebt hat, kehrt er bewusst in das Land zurück, in dem er verfolgt wird, völlig gewiss, dass er verhaftet wird. Warum? Er hasst diese Frage, darum nimmt Nawalny uns mit in sein Leben. Er schreibt über seine Kindheit, seine Liebe zu seiner Frau und vor allem sein politisches Engagement. Damit wir nicht mehr fragen müssen "Warum?".
Bei ihm hört es sich einfach an, wenn er sagt "Habt keine Angst", aber er hat es wirklich bis zum Schluss gelebt. Weil er an das geglaubt hat, worfür er einsteht: Ein besseres Leben für seine Kinder und Landsleute. Ohne Unterdrückung und in Frieden.
Schreibstil und Aufbau sind auf einem herausragenden schriftstellerischen Niveau, sodass es nie abgedroschen oder redundant wird. Mit (Selbst-) Ironie und auch manches Mal mit Galgenhumor schafft Nawalny es, selbst schwer erträgliche Sachverhalte so darzustellen, dass man nicht verzweifelt abbrechen möchte. Was für eine Leistung für einen Mann, der allen Grund hatte, verzweifelt zu sein.
Zunächst hatte ich Bedenken, dass mich diese Geschichte noch mehr an der Menschheit verzweifeln lässt - aber schließlich ist das Gegenteil der Fall. In den letzten Jahren hat sich immer stärker für mich gezeigt, dass es "das Böse" doch gibt. Aber es gibt auch "Das Gute". Ich bewundere, wie viel Vertrauen Nawalny in seine Mitmenschen hatte - gerade jetzt, knapp ein Jahr nach seinem Tod, scheint von seinen Bemühungen kaum noch etwas übrig zu sein. Aber vielleicht sehen wir nicht das ganze Bild. Ich hoffe es.
Nachdem ich das Buch beendet habe, habe ich ein paar Tage gebraucht, um alles sacken zu lassen. Das Buch hat mich dermaßen gefesselt, dass ich darin abgetaucht bin wie in einem Roman. Diese tiefe Menschlichkeit, Hoffnung selbst im Angesicht des Todes - nicht für sich, sondern für seine Mitmenschen, hat mich getroffen. Wie wir die Welt gestalten, geht uns alle etwas an. Und wir sollten uns verdammt nochmal für etwas Gutes einsetzen.