Alexis Ragougneau

 3,4 Sterne bei 80 Bewertungen
Autor*in von Die Madonna von Notre-Dame, Opus 77 und weiteren Büchern.

Lebenslauf

Alexis Ragougneau, 1973 geboren, wurde für seine Theaterstücke mehrfach ausgezeichnet. Er hat lange in Notre-Dame gearbeitet und kennt das Pariser Wahrzeichen wie sein eigenes Wohnzimmer. Die Madonna von Notre-Dame ist sein erster Roman.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Alexis Ragougneau

Cover des Buches Die Madonna von Notre-Dame (ISBN: 9783548613727)

Die Madonna von Notre-Dame

(60)
Erschienen am 10.03.2017
Cover des Buches Opus 77 (ISBN: 9783293209893)

Opus 77

(13)
Erschienen am 10.07.2023
Cover des Buches Der Tote aus der Seine (ISBN: 9783471351451)

Der Tote aus der Seine

(4)
Erschienen am 10.03.2017
Cover des Buches Die Madonna von Notre-Dame (ISBN: 9783844910438)

Die Madonna von Notre-Dame

(3)
Erschienen am 09.05.2014

Neue Rezensionen zu Alexis Ragougneau

Cover des Buches Opus 77 (ISBN: 9783293005808)
Maselis avatar

Rezension zu "Opus 77" von Alexis Ragougneau

Maseli
Eine unglaublich opulente, sprachgewaltige Umsetzung von Schostakowitschs Violinkonzert Opus 77

Der große Claessens ist tot. Der einstige Starpianist und Stardirigent erlag seiner kurzen Krankheit. Zur Beerdigung in Genf sind nicht nur die Mitglieder des Orchestre de la Suisse Romande, dem er mehr als 20 Jahre als Dirigent vorstand, anwesend, auch die Haute Voile der Musikszene und Schweizer Gesellschaft gibt ihm die letzte Ehre. Von seiner Familie allerdings ist nur Tochter Ariane anwesend. Sie wird Schostakowitschs Opus 77 in der Klavierfassung zur Totenmesse vortragen. 

Und während sich Ariane auf ihren Auftritt vorbereitet, lässt sie ihre Kindheit und ihr Leben Revue passieren, die unmittelbar mit dem Schicksal ihres Bruders David verbunden sind. 

Als wir noch eng verbunden waren, David und ich, tauschten wir niemals Blicke oder Zeichen, die für die Zuschauer sichtbar gewesen wären. Wir funktionierten als Duo, vollkommen aufeinander eingestimmt, indem wir mit dem Atem des anderen mitschwangen.

Meine persönlichen Leseeindrücke

Mein Stiefvater, Willy Bohring, war Soloflötistin im Stadtorchester Bremerhaven und durch ihn habe ich Zugang zur Welt der klassischen Musik erhalten. Ich bringe als Leserin dieses Romans somit eine Voraussetzung mit, die nicht zwingend notwendig ist, die aber anfänglich durchaus hilfreich erscheint.

Damit ich den Roman besser verstehe, höre ich mir Schostakowitschs Violinkonzert Opus 77 etwa zur Hälfte des Buches an. 

Der Interpret spielt die Geschichte eines anderen, als erzählter er sein eigenes Leben zum allerersten Mal oder zum allerletzten Mal vor dem Tod, während in Wahrheit alles längst geschehen und notiert ist.

Lassen Sie sich durch die Nocturne nicht abschrecken, warten Sie ab und hören Sie das Konzert bis zum Ende! Wie verständlich auf einmal die Musik wirkt! 

Um Opus 77 zu spielen, musst du ganz unten gewesen und dort eine Weile geblieben sein, sagte der alte Armenier immer.

Während ich nun weiterlese, bleibt mir die Musik Schostakowitschs im Ohr. Dazu verbindet Ragougneau die Lebensgeschichte seiner Interpreten, erzählt durch Ariane, die einen direkten Kontakt zu mir als Leserin sucht. Darauf reagiere ich stark und fühle mich angesprochen und aufgefordert, der Handlung aufmerksam zu folgen. 

Jetzt aber fordere ich Sie auf, sich Schostakowitschs Violinkonzert Opus 77 nochmals anzuhören und dann nochmals vor der literarischen Ausführung zur Passacaglia ab S. 190. (N.b. auf youtube finden Sie u.a. das Konzert mit David Oistrach, das ich Ihnen ausdrücklich ans Herz lege). Was für ein Rausch der Gefühle, was für eine mentale Verausgabung, was für eine Wollust und Sehnsucht nach unerreichbarer Perfektion! Und was für eine Tragik, dem Lebensweg von David zu folgen. Emotionale Höhenflüge treffen auf menschliche Abgründe, dargeboten in einer einzigartigen sprachlichen Ausdrucksweise, die ich in dieser Intensität nur bei Lenz Deutschstunde gefunden habe. 

Fazit

„Opus 77“ von Alexis Rgougneau ist ein Meisterwerk der französischen zeitgenössischen Belletristik. und gleichzeitig eine unglaublich opulente, sprachgewaltige Umsetzung von Schostakowitschs Violinkonzert Opus 77. Literarische Kunst auf höchstem Niveau.

Nehmen wir uns einen Moment, um darüber nachzudenken.

Cover des Buches Opus 77 (ISBN: 9783293005808)
B

Rezension zu "Opus 77" von Alexis Ragougneau

buchlesenliebe
Tiefe Einblicke in eine dysfunktionale Musiker*innenfamilie

Ein Leben für die Musik

Stets gab er den Takt an. Mit rigoroser Hand, Gnadenlosigkeit und Strenge. Als Ehemann, Vater, einstiger Solopianist und später weltberühmter Dirigent des Orchestre de la Suisse Romande. Ein gleichsam gefeierter, hochverehrter und gefürchteter Maestro, Narzisst, Pater Familias. Doch jetzt ist Claessens tot. Und seine ambitionierte und unnahbare Tochter Ariane bricht am Tag der Beerdigung ihres Vaters das Schweigen über die familiäre Vergangenheit. Sie entscheidet sich gegen Liszts Trauermarsch und spielt unter den Augen der Trauergesellschaft Schostakowitschs „Opus 77“. In vier virtuosen Sätzen erhalten wir - die Leser*innen - als erzählerisch bewusst integrierter und angesprochener Teil der Trauergesellschaft tiefe Einblicke in das Leben und den Zusammenfall einer dysfunktionalen Musiker:innenfamilie, in der „Opus 77“ zum biografischen Schicksalswerk wurde. Zentriert um einen Konflikt zwischen dem allmächtigen Vater und seinem introvertierten, sensiblen Sohn David - ein musikalisches Ausnahmetalent an der Violine. Und Ariane spricht auch direkt zu ihrem Bruder, der sich nach seiner Teilnahme am Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel - dem härtesten Musikwettbewerb der Welt - vor zehn Jahren in Schweigen hüllt und in einem Bunker verschanzt. Wird Ariane zu ihm durchdringen? Wird der Bruder sich am Totenbett des Vaters einfinden? Und welches Geheimnis verbirgt sich hinter dem Verschwinden von Mutter Yael? Einer einst aufstrebenden Sopranistin aus Tel Aviv?

„Opus 77“ bietet tiefe und schonungslose Einblicke in die Abgründe einer renommierten und toxischen Familie, in das Seelenleben einer gezeichneten jungen Frau sowie in das knallharte klassische Musikgeschäft, in dem Kinder am Leistungsdruck des Vaters zu zerbrechen drohen und ihre Wunden mit in das Erwachsenenalter tragen. Für mich hatte der Roman zwar partiell ein paar Längen, konnte mich insgesamt aber vor allem aufgrund der psychologischen Figurentiefe und sprachlichen Stärke überzeugen. Für Fans der klassischen Musik sicherlich ein Must-Read - für alle anderen bestimmt ein spannender Leseausflug in eine literarische Parallelwelt 🎼!

Cover des Buches Opus 77 (ISBN: 9783293005808)
Lesebiene017s avatar

Rezension zu "Opus 77" von Alexis Ragougneau

Lesebiene017
Wo Musik und Literatur sich treffen

„Wir werden mit dem Schweigen beginnen. Aber Schweigeminuten dauern ja, wie Sie wissen, nie volle 60 Sekunden, genauso wenig wie Minuten stillen Gedenkens bei einer Beerdigung in einer Genfer Basilika.“ (S. 6)

So beginnt Starpianistin Ariane Claessens uns ihre Gedanken mitzuteilen, während sie vor dem Flügel in dieser Kirche sitzt. Sie hat ihren Vater beim Sterben begleitet, der über Jahrzehnte der berühmte Dirigent des führenden Sinfonieorchesters der Schweiz war. Nun wird er zur letzten Ruhe gebettet. Ariane soll etwas zum Gedenken an ihren Vater spielen. Sie verwirft alles Gewöhnliche und nimmt sich den Klavierauszug des Opus 77 von Schostakowitsch vor, ein gefühlsaufwallendes Violinkonzert über vier Sätze, das offenbar weitreichende Bedeutung für Familie Claessens hat.

„Hören Sie mir jetzt gut zu, hören Sie unsere Geschichte; die Geschichte von meiner Mutter, meinem Bruder und Ariane Claessens, die für Sie aus dem Gedächtnis spielt; diesmal, das verspreche ich Ihnen, werde ich die Hüllen fallen lassen, und sie werden mich nackt sehen, wie Gott mich schuf.“ (S. 12)

Während Ariane nun der Trauergemeinde das dramatische Opus 77 vorträgt, wendet sie sich in einem fesselnden inneren Gedankenstrom an ihre Zuhörer, zu denen auch wir Leser gehören, und berichtet ihre packende Familiengeschichte.

Die Familie, das sind neben dem dominanten Maestro seine 17 Jahre jüngere Frau Yaël sowie die beiden Kinder David und dessen zwei Jahre jüngere Schwester Ariane. Yaël brillierte einst als aussichtsreiche Sopranistin. An der Seite Claessens verlor sie schnell ihre Strahlkraft und zog sich aus dem Rampenlicht zurück. Als Mutter bleibt sie blass, ist zeitlebens unglücklich bis depressiv. Die beiden Kinder wachsen wie selbstverständlich in ihre musikalischen Karrieren hinein. David wählt frühzeitig die Violine zu seinem Instrument, Ariane entscheidet sich für das Klavier. Jahrelang begleitet sie ihren sensiblen Bruder nicht nur musikalisch, sie übernimmt auch Verantwortung für ihn, denn an den Eltern haben die Kinder wenig Stütze. Im Gegenteil entwickeln sich unüberbrückbare Differenzen insbesondere zwischen Vater und Sohn, für die zwei offenbar dramatische Erlebnisse mitverantwortlich sind. Beide hängen unmittelbar mit dem legendären Opus 77 zusammen.

Fragmentarisch erzählt Ariane, nicht chronologisch. Sie wechselt dabei die Zeitebenen, weiß Cliffhanger geschickt zu setzen. Man erfährt viel über ihre eigenen Konzerterfahrungen rund um den Globus, ihre Beziehungen, ihre Sorgen und Ängste. Die Musikwelt scheint ein Haifischbecken aus konkurrierenden Künstlern, neidvollen Kritikern und machtvollen Mäzenen zu sein, in dem sich nur die stärksten und besten Solisten behaupten können. Parallel erzählt Ariane von ihrem Bruder, seinen ersten Erfolgen, von seinen Konflikten mit dem Vater, seiner verbissenen Vorbereitung auf einen renommierten Musikwettbewerb in Brüssel, von seinem sich anschließenden Rückzug von der Welt.

Der Roman wird unglaublich vielschichtig und dicht erzählt. Bezeichnenderweise entsprechen die Unterteilungen des Romans den Satzbezeichnungen des vorgetragenen Opus 77. Parallelen in Ausdruck, Tempi und Stimmungen sind also durchaus gewollt. Man muss kein Musikkenner sein, um diesen Roman zu mögen. Vieles über Komponist und Werk wird uns erläutert. Allerdings schadet es nichts, in das titelgebende, sehr emotionale Werk hineinzuhören: „Opus 77 oder der einzige Rettungsanker eines Menschen, der sich zum Selbstmord getrieben sieht. Nie hat Musik wohl mehr den Kampf des Lichts gegen die dunklen Mächte symbolisiert.“ (S. 147)

Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll, meine Begeisterung in Worte zu fassen. Ich habe den gesamten Roman irrsinnig genossen, ihn regelrecht verschlungen. Die einzelnen Erzählstränge Arianes sind sehr geschickt miteinander verwoben. Das eine Thema wird kurz zur Seite gelegt, um das nächste wieder aufzunehmen und fortzusetzen. Die Handlung schreitet kontinuierlich auf einen Höhepunkt zu, der sich abzeichnet, den man aber bis zum Erreichen nur erahnen kann. Insofern erinnert seine Konstruktion durchaus an sinfonische Musik. Im Schreibstil wirkt sich Arianes fehlende Emotionalität aus. Die junge Frau ist stets bemüht, nichts von ihrem Innenleben preiszugeben. Dadurch beschreibt sie ihre Erinnerungen, bewertet sie aus der Distanz heraus. Das Erzählte wirkt aber dennoch nach. Allein aus der sachlichen Beschreibung der Ereignisse erkennt der Leser deren Tragweite und Bedeutung, die mitunter sprachlos machen. Die Charaktere kann man sich nach und nach durch ihr Tun erschließen, teilweise ergeben sich auch Aufschlüsse durch deren aufreibende Vergangenheit. Im Zuge des Romans erfasst man immer mehr Zusammenhänge dieser toxischen Familie, die einen in ihren Bann ziehen. Obwohl hier aus der Distanz und kein bisschen sentimental erzählt wird, fühlt man intensiv mit dem Protagonisten mit.

Ragougneau kommt aus der Spannungsliteratur. Das merkt man diesem Roman an, der von Beginn an Fahrt aufnimmt, kontinuierlich an Schwung gewinnt, um erst ganz am Ende wieder zur Ruhe zu kommen. Zu gut beherrscht der Autor sein Metier. Sprachlich hat mich der Text extrem beeindruckt, die Übersetzung aus dem Französischen von Brigitte Große möchte ich als genial bezeichnen; man spürt sie an keiner Stelle.

Den Roman konzeptionell an die Satzfolge des titelgebenden Opus anzulehnen und jeweils noch ein passendes Zitat von Kafka, Canetti, Bernhard und von Kleist voranzustellen, wirkt organisch und macht ihn besonders. Für mich ist „Opus 77“ ein glanzvolles Highlight dieses Jahres und für Musikfreunde fast ein Muss, da man sehr viel über Licht und Schatten der professionellen Musikwelt erfährt. Hervorzuheben ist zudem die ausdrucksvolle Einbandgestaltung des Hardcovers in Rot-Schwarz, der etwas Teuflisches anhaftet.

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