Cover des Buches Marion Gräfin Dönhoff (ISBN: 9783867174527)
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Rezension zu Marion Gräfin Dönhoff von Alice Schwarzer

Rezension zu "Marion Gräfin Dönhoff" von Alice Schwarzer

von vielleichtsagerin vor 13 Jahren

Rezension

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vielleichtsagerinvor 13 Jahren
Als Alice Schwarzer im November 1987 Marion Gräfin Dönhoff für das Magazin „EMMA“ interviewte, verblüffte die einstige Herausgeberin der „ZEIT“ mit der Antwort auf die Frage: „Was wäre, wenn Sie 1970 zwanzig gewesen wären?“. Hätte sie sich an der Frauenbewegung beteiligt? Als promovierte Volkswirtin und eine der einflussreichsten weiblichen Figuren des deutschen Nachkriegsjournalismus? Zu einer Zeit, als Frauen in genau zwei Rollen reüssieren durften: Objekt der Begierde und Mutter? „Das kann ich mir gar nicht vorstellen, daß ich in einer Gruppe von nur Frauen gekämpft hätte...“, kam es zurück, was bei Kennern der Dönhoffschen Veröffentlichungen kaum für Stirnrunzeln sorgen dürfte. Denn obgleich die liberale „ZEIT“ in den 70er Jahren über den Kampf um die Abschaffung des § 218 berichtete – aus der Feder der Gräfin kam nicht ein Wort zu „Frauenthemen“ und anderem „Weiberkram“...Bei genauerer Betrachtung erklärt sich Dönhoffs Distanzierung vom feministischen Lager leicht: Als weiblicher Mensch hatte sie ein Männerleben geführt und das ohne ideologische Fundierung. Vielmehr haben Dönhoffs Abstammung, ihre Kindheit und ein widerspenstiges Temperament die Weichen für ihr – gemessen an den Maßstäben der Zeit – unkonventionelles Leben gestellt. Ein widerständiges Leben, wie es im Untertitel heißt. Ein Leben voller Widerstände, aber auch wider dem eigenen Stand als Adlige und Frau. Nach dem besagten Interview war Schwarzers Interesse an der charmanten, stets nordisch-unterkühlten Dame geweckt, doch erst acht Jahre später wurde sie als Biografin akzeptiert. Ein Jahr gefüllt mit gemeinsamen Reisen, zahlreichen Gesprächen und intensiven Recherchen in Dönhoffs intimsten Lebenskreis später, ist das Werk vollbracht: Die erste Biografie über Dönhoff und die einzige zu deren Lebzeiten liegt vor. Sie verrät viel über den familiären Hintergrund der Gräfin, einiges über ihren beruflichen Aufstieg und so gut wie nichts über den Privatmenschen Dönhoff. Doch wie könnte es auch anders zugehen in der Biografie der „Unnahbaren“, von der es heißt: „Früher hatten wir zwei Gräfinnen, die Gräfin Dönhoff und die Gräfin Merfeldt. Der letzteren hat man gern von oben in die Bluse geguckt [...]. Mit der anderen hat man nicht geflirtet, mit der hat man diskutiert.“ Marion Gräfin Dönhoff wurde als siebtes und letztes Kind geboren. Entsprechend dem Zeitgeist fiel die Erziehung nicht in den elterlichen Zuständigkeitsbereich, sondern wurde nahezu vollständig an die Kinderfrau übergeben. Dönhoffs Erinnerungen an die Jahre im Elternhaus fallen gemischt aus. Einerseits bietet ihr das Schlossgut vielfältige Möglichkeiten, in die Natur zu fliehen und allerhand bubischen, ganz und gar nicht standesgemäßen Beschäftigungen nachzugehen: Klettern, Schwimmen, Reiten...Andererseits ist die Atmosphäre zu Hause unterkühlt. Der alte Vater wird von dem kleinen Mädchen stets als fern und unerreichbar erlebt. Auch das Verhältnis zur Mutter ist „kühl“, von emotionaler und räumlicher Distanz geprägt. Zudem vermittelt Ria Dönhoff ihrer Tochter sehr früh das Bild der beschränkten, intellektuell unterlegenen Frau. Dies stachelt den Ehrgeiz der kleinen Gräfin gehörig an und dürfte für ihre außergewöhnlichen schulischen und akademischen Erfolge mitverantwortlich sein: Nach einem brillanten Abitur studiert sie Volkswirtschaft und beendet ihre Doktorarbeit mit summa cum laude. In ihrem 1994 erschienen Buch „Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli – um der Ehre willen“ porträtiert sie mit Zärtlichkeit und Zorn sechs ihrer Freunde, die beim Widerstand gegen das Naziregime ihr Leben verloren. Nur wer genau liest, wird dem Postskriptum entnehmen, dass auch Marion Gräfin Dönhoff zentral an der Bewegung gegen Hitler beteiligt gewesen war. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 schwebte sie selbst in Lebensgefahr. Schuld war ein verräterischer Onkel, der Dönhoffs Korrespondenz hatte beobachten lassen. Anhand der Adressaten ihrer Briefe, seit 1943 emsig notiert und an die Gauleitung in Königsberg übergeben, konnte eine direkte Verbindung zwischen Dönhoff und dem „Kreisauer Kreis“ hergestellt werden. Es folgten ein Besuch der Gestapo sowie ein Verhör in der Zentrale in Königsberg. Mit Glück kam sie glimpflich davon... Doch nicht einmal ein Jahr später der nächste Schlag: Die Russen rücken mordernd und marodierend vor. Marion Gräfin Dönhoff muss Schloss Friedrichstein und das Gut Quittainen verlassen. Die große Flucht beginnt. Auf Umwegen und dank einer Riesenportion Glück, beginnt sie als Redakteurin für die damals neu gegründete „ZEIT“ zu schreiben. Am 21. März 1946 tritt sie zum ersten Mal als Autorin in Erscheinung- und sorgt sogleich für ein Eklat. Ihr Kommentar gegen das Verbot des „Helden-Gedenktags“ durch die Alliierten erregt den Unmut des zuständigen „Controllers“, eines Zensors der Alliierten. Nur dank einer Lüge des damaligen Chefredakteurs Richard Tüngel schaffte es der Artikel tatsächlich in den Druck...Und damit startet für Marion Gräfin Dönhoff eine steile, ungewöhnliche und bewegende Karriere bei der „ZEIT“. Obgleich sie keine journalistische Ausbildung vorzuweisen hatte, unterhielt sie Beziehungen zu wichtigen Leuten aus Diplomatie und Presse, Kaufleuten, Militärs und Künstlern. Diese Beziehungen ließen sich hervorragend für die „ZEIT“ nutzen. Doch trotz bester Voraussetzungen wäre Dönhoffs journalistische Karriere auf Grund ihrer Prinzipientreue beinahe zu Ende gewesen. Fazit: Ein starkes Buch über eine starke Frau, die mit der eigenwilligen Mädchenhaftigkeit einer Pippi Langstrumpf kokettiert und der Härte einer Amazone durchgreift. Faszinierend, inspirierend, informativ!
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