In einem Calmecac im Tenochtitlan des 16. Jahrhunderts wird eine Priesterin scheinbar mit Hilfe eines Nahual-Schutzgeistes ermordet. Acatl, der Hohepriester des Totengötterpaares Mictlantecutli und Mictecacihuatl wird zur Untersuchung des Falles abgeordnet. Ein Gefallen, wie sich herausstellt, denn Hauptverdächtiger ist sein entfremdeter Bruder, der Jaguarkrieger Neutemoc. Er hatte ein Motiv, aber es scheint alles zu gut zu passen.
Als Bestandteil meiner im Packet gekauften Ebooks auf meinem Lesegerät bin ich ohne Klappentext in diesen Roman eingestiegen. Das exotische Setting und der spannende Anfang hat mich recht schnell gepackt. Es ist ein sehr unterhaltsames, spannend und routiniert geschriebenes Buch. Die Charaktere haben eine gute Grundlage für Beziehungen und Konflikte, können aber aufgrund der starren Handlung kaum glänzen.
Die Geschichte selbst in nämlich leider sehr schwach. Die Grundidee ist nicht schlecht, aber ich konnte mich beim Lesen nicht des Eindrucks erwehren, dass die Autorin den Plot vorher nicht durchdacht hat. Das Geschehen entwickelt sich streng von Plotpunkt zu Plotpunkt, die Zeit dazwischen nutzt der Protagonist für eine kurze Reflexion über das Geschehene und um zu seinem Tempel oder sonst nach Hause zu gehen. Dann kommt die nächste Episode.
Hinzu kommt, dass die Geschichte auf die schlechtest mögliche Art und Weise undurchschaubar ist: Sie besteht aus einer Reihe von Deus ex Machina (sehr passend bei der Thematik), denn der Leser kennt die Regeln der Welt nicht. Das heißt, dass sich die Autorin auf dem Weg durch das Abenteuer ständig ad hoc neue Dinge ausdenken kann, mit denen man niemals rechnen konnte. Da das Ganze als eine Art Kriminalfall aufgebaut wird, ist eine solche Entwicklung ziemlich unbefriedigend. Gegen Ende, besonders beim Showdown wirken die Geschehnisse beliebig.
Hinzu kommen einige himmelschreiende Ungereimtheiten, die der Erzählung deutlich Schaden zufügen. Ein Beispiel dafür wird gleich am Anfang deutlich: So wird dargestellt, dass jeder, der an einem Jaguar-Tag geboren ist, einen Nahual-Schutzgeist beschwören kann. Nur tut es niemals jemand, auch wenn es aus einer brenzligen Lage retten könnte.
Nebenhandlungen oder zumindest ein Bisschen detaillierte Beschreibung der aztekischen Lebenswelt, der für den Roman so wichtigen religiösen Riten oder der Architektur und der Götterbilder fehlen leider – oder verschwinden nach dem ersten Kaptiel. Dabei hat es mir sehr gut gefallen, wie eng die Autorin Magie und Mythologie mit dem Alltag der Menschen verwoben hat. Auch wenn es sich hier um einen Fantasygeschichte handelt, ist die hier bestehende Geisteshaltung vermutlich sehr realistisch für streng religiöse Gesellschaften. Man zweifelte nicht an, dass Götter und Dämonen in die Welt eingreifen können und ein Hohenpriester sollte sich nicht wundern ihnen persönlich gegenüber zu stehen. Die blasierte Reaktion Acatls auf solche Ereignisse ist also passend.
Auf der anderen Seite ist es seltsam, dass die Autorin so große Kompromisse bei der Religion der Azteken eingegangen ist. So hat sie die Hierarchie verändert und die Bedeutung von Menschenopfern ordentlich heruntergedreht. Wenn man sich auch nur oberflächlich mit dieser Kultur beschäftigt hat, fällt letzteres schon bei der Lektüre auf. Ich denke dies wurde gemacht um den Protagonisten sympathischer wirken zu lassen, da er als Hohenpriester maßgeblich daran beteiligt gewesen wäre. Stattdessen darf er dann im Laufe des Buches eine ganze Menagerie, vom Wiesel bis zur Eule, aufschlitzen. Sicher macht ihn das in den Augen einiger Leser auch nicht besser, mir hat es aber verdeutlicht, warum ich mythologische und sogar historische Romane nicht besonders mag: Sie neigen dazu die historischen oder literarischen Fakten frei auszulegen und ich bin mir nie sicher, was man davon nun als bare Münze nehmen kann. Zumindest breitet die Autorin das in ihrem Nachwort etwas aus.
Insgesamt ist es ein unterhaltsames Buch, aber leider nicht viel mehr. Mir kommt es so vor, als sei es mit zu großer Routine und zu großem Augenmerk auf Allgemeingefälligkeit geschrieben worden.