Madeleine wohnt mit ihrer kleinen Schwester Ronja und ihrer Mutter in einem heruntergekommenen alten Bauernhaus in Mecklenburg-Vorpommern. Sie sind als sechsköpfige Familie hierher gezogen auf der Suche nach dem idyllischen Landleben und um den «antikapitalistischen Traum» ihrer Mutter zu erfüllen. Zu Beginn ist der Umzug ein grosses Abenteuer: Die Familie zieht in den halbverfallenen Stall währendem das Haupthaus umgebaut wird. Die Kinder spielen im grossen Garten mit Teich und die Mutter nimmt sie mit auf lange Spaziergänge in die Natur, wo sie ihnen die Namen der verschiedenen Pflanzen lehrt. Schon bald aber kippt die Stimmung: Der Vater bleibt immer öfter mit irgendeiner Ausrede von zuhause weg und kommt erst spät angetrunken zurück. Auch der grössere Bruder verbringt die meiste Zeit ausser Haus. Dafür bringt die Mutter ein Tier nach dem anderen ins Haus. Nach nicht mal einem Jahr hat der Vater genug und zieht mit den Söhnen zurück in die Stadt. Auch die Mutter ist nicht für die Mädchen da: Sie arbeitet Tag und Nacht als Freiwillige in einer Auffangstation für Tiere. Von dieser Arbeit bringt sie zwar kein Geld, aber immer wieder Tiere nach Hause, die das ganze Haus bevölkern, den Kindern das Essen wegfressen, die Kleider verschmutzen oder sie sogar verletzen. Den Weg zum Plumpsklo versperren Wildschweine und Ratten, im Stall herrscht eine Mäuseplage, weil die Eule, für die die Mäuse als Lebendfutter nach Hause gebracht wurden, stirbt, und im Flur lauern bissige Hunde, so dass die Mädchen ihre Zimmer über das Dach verlassen müssen. Die Mutter kümmert sich mit grosser Fürsorge um all diese Tiere, während sie die Bedürfnisse der Kinder total ignoriert.
Der Roman beschreibt den momentanen Alltag aus Sicht der Protagonistin Madeleine, blendet aber auch immer wieder zurück in frühere, unbeschwertere Tage. Alina Herbing beschreibt die Umstände, in welchen die Geschwister aufwachsen, schonungslos und ohne jegliche Filter. Das führt dazu, dass die Beschreibungen zum Teil sehr roh und grausam oder auch mal ziemlich eklig ausfallen. Dies unterstreicht aber die Ohnmacht, die Madeleine fühlen muss, weil sie als Jugendliche so sehr von ihrer Mutter (bzw von beiden Eltern), die sie ja liebt/lieben will, abhängig, ihr total ausgeliefert ist. Man spürt auch die Verbundenheit, die zwischen den Mädchen und der Mutter besteht. Nur scheint letztere so wirklich gar nichts an ihre Mädchen zurückzugeben.
Ein sehr intesives, aufwühlendes Buch. Für mich war es fast unerträglich, zu lesen, mit wie viel Liebe und Hingabe sich die Mutter um die Tiere kümmert, während ihre Mädchen ihr total egal zu sein scheinen. Die Mädchen sind völlig verwahrlost, ihr Urvertrauen in die Mutter ist zutiefst erschüttert: Madeleine wartet stundenlang im Regen auf dem Parkplatz auf ihre Mutter und wagt nicht, sich wegzubewegen, weil sie genau weiss: Wenn sie nicht da ist, wenn die Mutter kommt, fährt die Mutter weiter. Die Mutter dringt auch in ihren einzigen Rückzugsort, ihr Kinderzimmer, ein: Obwohl ausgemacht wurde, dass wenigstens die Zimmer der Kinder komplett tierfreie Zonen bleiben, sperrt sie immer mal wieder einen Hund oder eine Katze darin ein. Wenn Madeleine sie darauf anspricht, streitet sie es ab. Es ist wirklich extrem beklemmend, wie die Mädchen auf ihre Zimmer reduziert werden und auch all ihre Habseligkeiten darin aufbewahren müssen, während die Tiere den Rest des Hauses auseinandernehmen.
Leider lernt man auch hier zu wenig über die Probleme der Mutter. Warum agiert sie so, wie sie es tut? Wieso ist sie nie da? Wieso hat sie ihre eigenen Kinder aufgegeben? Wieso hilft niemand den Mädchen? Wo ist der Vater?
Alles in allem hat mich das Buch total gepackt und mitgenommen – sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Ich kann es deshalb wirklich von ganzem Herzen empfehlen.