Aline Valangin (1889 – 1986) war eine Schweizerische Autorin, die seit 1936 auch im Tessiner Osternonetal im Schweizerisch-Italienischen Grenzgebiet lebte, in dem der Roman auch angesiedelt ist. „Dorf an der Grenze“ ist der zweite Teil der Chronik um die Arminifrauen, die mit „Die Bargada“ begann, aber völlig eigenständig zu lesen ist.
Das titelgebende Dorf liegt inmitten von unwirtlichem und schwer zugänglichen Bergland. Seit Ewigkeiten leben dieselben Familien hier, man bildet trotz aller Differenzen nach außen hin eine eingeschworene Gemeinschaft, die alles Fremde kritisch beäugt. Mit viel Hinwendung werden die Figuren im Rahmen ihres Lebensumfeldes beschrieben. Man findet sich zunächst in einem Heimatidyll wieder. Doch: „An einem freundlichen Septembertag hieß es, Krieg sei ausgebrochen. Draußen in der Welt.“ Als Leser begleiten wir die Menschen, denen die bewegten Zeiten Veränderungen und Entwicklungen abverlangen. Der Krieg macht nämlich keinen Halt vor dem Dorf. Erst werden Leichen angeschwemmt, dann Flüchtlinge - zunächst vereinzelt, später in Gruppen - , die auf Rettung hoffen, aber regierungskonform zurückgewiesen werden. Es blüht der Handel mit Schmugglerware, zunächst mit Lebensmitteln, später mit Schmuck und Tand. Einerseits verdienen die Dörfler daran, andererseits verurteilt man die Schmuggler, die den Handel unter Einsatz ihres Lebens ermöglichen. Diese widersprüchlichen Moralvorstellungen sind ein Thema des Romans.
In dieses pittoreske Panorama werden interessante Figuren gesetzt: Die Kneipenwirtin mit ihrem nichtsnutzigen Sohn Renzo, der sich Hoffnung auf eine Heirat mit der unabhängigen, selbstbewussten Arminifrau Zoe macht. Auch ihre Tochter hofft auf diese Ehe, damit sie ihr eigenes Liebesglück mit dem aus frommer Familie stammenden Amadeo finden kann. Die Männer, die nicht als Wehrmänner in der Ferne Dienst tun, sind weitgehend hinterwäldlerische, aber dominierende Staffage, deren Treffpunkt der Kneipentisch ist.
Spannend, wie der Krieg seinen Tribut fordert. Nicht nur Geflohene, sondern auch Partisanen und Faschisten aus den Nachbarländern rücken ins friedliche Grenzland der Eidgenossen vor. Man muss paktieren, verschleiern, verstecken und zusammenhalten, um sich zu behaupten. Valangin versteht es, das Geschichtliche mit dem Privaten ihrer Figuren auf sehr spannende, kurzweilige Weise zu verbinden. Sie beschreibt bildreich und anschaulich die beeindruckende Berglandschaft, das Dorf und seine Bewohner. Der Stil ist unaufgeregt und sachlich, Wertungen werden den Lesern überlassen.
Man folgt der Handlung in stetem Fluss, vereinzelte Höhepunkte rund um Konflikte, Eifersucht, Schmuggel und Grenzbewachung sorgen für Höhepunkte und einen intensiven Einblick in bewegte Zeiten. Wer genauer hinschaut, kann den dörflichen Mikrokosmos erweitern, um die Kritik an der Schweizer Asylpolitik und Abschottung allem Fremden gegenüber zu erkennen. Es geht um Geschichte, aber auch um die Gegenwart – manche Bilder kehren immer wieder.
Ein lesenswerter und haptisch sehr ansprechend gestaltetes Buch aus dem Limmat Verlag, das ich allen Freunden gut geschriebener historischer Romane ans Herz legen möchte.
4,5/5