Rezension zu "Intuition" von Allegra Goodman
Cliff ist ein frustrierter, glückloser Postdoc in Boston's Philpott Institute. Das war nicht immer so, Cliff begann seine Karriere in Mairon Mendelssons Labor als Star, als junge Nachwuchshoffnung. Cliff hatte große Ziele. Er wollte ein Virus so modifizieren, dass es Krebszellen abtötet, stattdessen tötet es reihenweise seine Versuchsmäuse. Seine Chefin verlangt, dass er das Projekt einstellt und von nun an seiner einige Jahre älteren Lebenspartnerin Robin bei ihrem (ebenfalls glücklosen) Projekt zu Hand geht. Cliff weigert sich, forscht Heimlich weiter und dann passiert das Wunder: Einige seiner Mäuse werden gesund! Von nun an hat alles nach Cliffs Pfeife zu tanzen, alle anderen Projekte werden zurückgestellt und das Labor bündelt seine Kräfte, um dieses eine Projekt zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Dieser Kurswechsel belastet Cliffs und Robins Beziehung und scheitert letztendlich daran. Als Robin Unregelmäßigkeiten in Cliffs Arbeit entdeckt, weil sie diese nicht reproduzieren kann, zweifelt sie zunächst an sich, dann an Cliffs Arbeit und prangert diese schließlich an. Niemand will ihr jedoch Glauben schenken. Man glaubt an persönliche Motive, ignoriert ihre Warnungen, drängt sie aus dem Labor und zwingt sie dazu extreme Maßnahmen anzuwenden, um ihren Ruf zu retten und das ihrer Meinung nach fehlerhafte Paper als das zu entlarven, was es ist. Dabei gerät die Situation mehr und mehr außer Kontrolle und entwickelt ein gefährliches Eigenleben aus Rache, politischen Ambitionen und Ränkespielen. Und das alles aufgrund einer kleinen, harmlosen Bemerkung eines gelangweilten Superhirns, das seine Intelligenz in den Dienst seiner Frau stellte und sich selber zurücknahm, um in seiner Freizeit ab und an mal an den Strippen zu ziehen, und seine Frau in die seiner Meinung nach richtige Richtung zu dirigieren.
Allegra Goodman, selber Jüdin, lässt diesen Roman in dem ihr vertrauten jüdischen Umfeld spielen. Die beiden Laborleiter Mairon Mendelssons und Sandy Glass sind beide praktizierende Juden. Auch die weitere Inspiration zu diesem Roman erhielt Allegra Goodman aus der eigenen familie. Teils wohl von ihrer Mutter Madeline Goodman (Professor für Genetik) teils von ihrer jüngeren Schwester Paula Fraenkel (einer Onkologin). Auch wenn die Autorin selber keine Naturwissenschaftlerin ist, beschreibt sie doch sehr gut, wie es in einem Labor menschlich zugeht, ohne jedoch den Fehler anderer Autoren des Lablit Genres zu begehen, und zu sehr ins wissenschaftliche Detail zu gehen. Sie beschreibt die Versuche auf allgemeinem Niveau, wie man es auch in den Zeitungen liest, für Laien verständlich und dennoch exakt genug, um auch echte Wissenschaftler zufrieden zu stellen. Dafür jedoch streut sie haufenweise Zitate klassischer englischer Literatur über den Text.
Die Geschichte an sich ist sicherlich von der Realität inspiriert. Oft genug werden wissenschaftliche Veröffentlichungen zurückgezogen, weil man nachgewiesen hat, dass die Daten gefälscht oder geklaut sind. Die Ursache wird in diesem Roman auch beschrieben: Erfolgsdruck. Nur wer erfolgreich veröffentlicht, bekommt anschließende Förderungen (Publish or perish). Oft wird aus Verzweiflung geschönt oder gelogen.
Das wirklich gelungene an diesem Roman jedoch ist, dass die Autorin keine Stellung bezieht. Cliff fälscht nicht absichtlich, er ist von seiner Arbeit überzeugt, auch wenn er die Daten ein wenig schönt. Robin will keine Rache an Cliff (oder sie redet sich das zumindest ein), es geht ihr nur um die Integrität der Daten und um das höchste Gut der Wahrheit. Wer hat gelogen? Hat jemand gelogen? War es Absicht oder Versehen? Diese Fragen bleiben offen. In diesem Buch geht es um Mechanismen. Wie eine Handlung die nächste nach sich zieht, logisch, konsequent und unaufhaltsam bis zur Eskalation die keiner mehr kontrollieren oder aufhalten kann.