Rezension zu "A Gentleman in Moscow: The worldwide bestseller, now a major TV Series starring Ewan McGregor" von Amor Towles
wandablueEin Mann in den besten Jahren, nämlich Count Alexander Ilyich Rostov, wird 1922 im Alter von 33 Jahren von den russisch-bolschewistischen Behörden festgenommen, verhört und verurteilt. Er hat seinen Namen unter ein angeblich volksverhetzendes Gedicht gesetzt. Das vergleichsweise milde Urteil setzt ihn unter lebenslangen Hausarrest im Hotel Metropol in Moskau, wo der Graf sowie so abgestiegen ist. Seine wohlhabende, inzwischen wahrscheinlich enteignete Familie besitzt ein Gut in Nischninowgorod, zur Zeit der Revolution befand sich Rostov sicher in Paris – aber er kehrte wegen seiner Großmutter zurück nach Russland. „Hast du diese Entscheidung je bereut?“ befragt ihn eine Figur aus dem Roman, worauf der Graf eine wahrhaft philosophische Antwort gibt.
Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Das Leseerlebnis ist erfreulich! Obwohl …
Der Autor, Amor Towles, setzt seine Leserschaft wie schon in seinem ersten Roman „Rules of Civility“ zunächst auf einen kalten Topf, will sagen, sein Roman entwickelt sich wirklich gemächlich, Towles nimmt sich über 500 Seiten lang Zeit. Der Topf wird langsam erhitzt, wird immer wärmer! Und das Ende ist spannend.
Wie der Graf aus seiner großzügigen Hotel-Suite ausziehen muss, um in einem ungemütlichen Turmkämmerchen zu hausen, wie er sich allmählich mit seiner Situation auseinandersetzt, abfindet und sich darin einrichtet, ist das übergeordnete Thema des Romans. Und immer wenn sich die geneigte und sehr geduldige Rezensentin allmählich zu langweilen beginnt, immer, wirklich immer exakt an diesem Punkt, führt Towles etwas Neues ein. Manchmal sind diese Neuerungen Personen, manchmal Ereignisse. Jedes Mal wird man davon überrascht – und beginnt dann zu schmunzeln und das Langatmige zu verzeihen. Es hat seinen Sinn!
Wenn jemand sein gesamtes Leben an einem einzigen Ort verbringt, lernt man als Leser natürlich das Terrain kennen. Towles beschreibt aber nicht lapidar, was der Protagonist sieht, sondern bindet das Umherstreifen und damit das Beschreiben des Hotels auf das Charmanteste mit dem Aufeinandertreffen des Grafen mit einem vorlauten Mädchen zusammen. Eine ungleichgewichtige Freundschaft entsteht. Ungleichgewichtig vom Alter her, jedoch nicht vom Geist, denn die neunjährige Nina ist geistig auf der Höhe. In den ersten Jahren des Hausarrests hält sie den Grafen mit ihren kreativen Einfällen buchstäblich am Leben. Denn lebenslänglicher Hausarrest ist dazu angetan, den Menschen zu brechen.
Die Handlung spannt sich über einen Zeitraum von 32 Jahren, beginnend 1922 und endend 1954. Der Autor flicht kurze Reflexionen über den Marxismus-Leninismus ein, über den Sinn des Lebens, etc., bleibt aber trotz dieser kleinen gedanklichen Abschweifungen bemerkenswert unpolitisch. Amor Towles konzentriert sich auf das Menschliche. Darin ist er sehr gut.
"A Gentleman in Moscow" ist ein schöner Roman, mit verstecktem Witz und Eloquenz erzählt, wartet mit liebenswerten Charakteren auf, streut Probleme und Schwierigkeiten (des Lebens und überhaupt) genau im richtigen Maß ein – jedoch … ja, jedoch!
Anders als Eugen Ruges Roman „Metropol“ huscht er über die stalinistischen Säuberungen hinweg, - deren Auswirkungen man im Hotel Metropol doch trefflich hätte beobachten können – widmet sich zu sehr der russischen Seele.
Und das ist die Kritik: Der Roman ist einfach zu wenig politisch. Zu Französisch geradezu, ich nehme ihm das Russische nicht ab, obwohl der Wodka in Strömen fließt. Die zeitweise bedrückende Atmosphäre des Metropol, in dem die Dissidenten festgalten werden und auf ihren Prozess warten, wo Träume von einer besseren (kommunistischen) Welt platzen und statt dessen erst Frust, dann Unglauben, dann Todesangst Platz macht, existiert in diesem Roman nicht.
Außerdem: die Frauenbilder sind samt und sonders zu zahm. Die Haupteigenschaft, die man Sofia zuschreiben muss, einer weiblichen Person, die erst relativ spät in das Leben des Protagonisten eintritt, dann aber zum bestimmenden Element wird, ist zum Beispiel, dass sie „sittsam“ ist. Allerdings hat sie bei aller Sittsamkeit Esprit und bringt die Note einer gewissen Verspieltheit mit. Ach ja, es ist ein netter Roman. Ein Wohlfühlroman. Ich habe ihn trotz seiner Länge gerne gelesen und hätte er nicht in einer entscheidenden Zeit in Russland, sondern in Frankreich gespielt, hätte er von mir die volle Punktzahl erhalten, so unterhaltsam ist er. Denn Amor Towles komponiert seinen Roman großartig und fügt schon am Anfang Elemente ein, die erst viel später gebraucht werden. Listig! Eins fügt sich zum anderen und der Roman nimmt ab der Mitte ungefähr so richtig Fahrt auf. Sein Held Alexander Ilyich Rostov ist charakterlich nahe an die Figur des Hercule Poirots zu rücken; nur dass der Graf natürlich viel schöner ist. Die Geschichte per se harmoniert nur leider kaum mit der grausamen russischen Realität. Rein von der Atmosphäre her, passt der Roman an die Seine und nicht an die Moskwa.
Fazit: Ein eloquenter, liebenswerter Roman mit vielen kreativen Einfällen und Flair, dessen Handlung immer mehr Fahrt aufnimmt und genial komponiert ist, jedoch beim politischen Momentum viel zu zaghaft ist, um nicht zu sagen, radikal versagt.
Katogorie: Unterhaltung : 5
Gute Literatur: 4
Verlag: Windmill Books am 02.11.2017
SuB-Abbau: 2025