Rezension zu "Der sechste Stock eines fünfstöckigen Hauses" von Anar
Die verheiratete Tehmine und Zaur, der junge Professorensohn, verbringen eine kurze, sehr schöne Zeit miteinander. Ginge es nach Tehmine, sollte es dabei bleiben. Doch Zaur reist der Geliebten hinterher und aus der Affäre wird eine Beziehung. Tehmine lässt sich von ihrem Mann scheiden, der sie ohnehin seit Jahren betrügt, und zieht mit Zaur zusammen. Doch das Glück, dass sich die beiden aufbauen könnten, wird an Zaur und seiner Familie zerbrechen.
Zwischen die beiden stellt sich am Ende fast ganz Baku. Zaurs Familie setzt alles daran, die beiden auseinander zu bringen und zeigt sich bei der Wahl der Waffen geradezu mittelalterlich unzimperlich: Die Mutter keift, erzählt Lügen und streut Gerüchte. Zaurs Eltern moblilisieren ihre Bekannten und alle möglichen Mitarbeiter in Zaurs Verlag, um auf den Sohn einzuwirken - um nicht zu sagen, sie erpressen ihn über alle ihnen zur Verfügung stehenden Kanäle. Auch telefonische Beleidigunsattacken - mal namentlich, mal anonym - gehören zum Waffenarsenal. Unter dem massiven Druck brechen letzen Endes die Liebenden zusammen.
Anar erzählt eine wahrhaft traurige Liebesgeschichte - und das ist sie nicht, weil sich die beiden Liebenden am Ende "nicht kriegen". Was die Geschichte traurig macht, ist das Aufeinanderprallen von Tehmines Selbstbewusstsein und Lebenslust und Zaurs Unreife in jeder Hinsicht. Tehmine weiß ziemlich genau, dass sie den geliebten Zaur gehen lassen muss. Weil Zaur aber Tehmine nicht gehen lassen will, spitzt sich die Situation zu.
Anar erweckt seine Figuren sehr gut zum Leben. Nur für wenige allerdings empfindet man Sympathie. Selbst Zaur hätte ich gelegentlich lieber einen Satz Backpfeifen verpasst, denn er kann weder mit Tehmine richtig umgehen, noch mit seiner Familie. Die eingefädelte Ehe mit der schweigsamen und völlig farblosen Firengiz scheint ihm recht egal; ein neues Auto und eine eigene Wohnung sind jedoch aussichtsreiche Lockmittel, um den geliebten Menschen fallen zu lassen.
Tehmine lebt sehr eigenständig und beruflich recht erfolgreich als Ansagerin beim Fernsehen. Damit lebt sie einen Standard, der nicht nur vor 30 Jahren und nicht nur in Aserbaidschan für Misstrauen sorgte. Dadurch finde ich den Roman recht zeitlos und es ist fast schon schade, dass das Buch vergriffen und eine Neuauflage derzeit nicht geplant ist.