Cover des Buches Das Buch vom Süden (ISBN: 9783552057753)
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Rezension zu Das Buch vom Süden von André Heller

Ein Episoden-Sammelsurium...

von parden vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Ein künstlerischer Tausendsassa berichtet über einen Taugenichts - für mich trotz einiger poetischer Passagen irgenwie blutleer...

Rezension

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pardenvor 8 Jahren
EIN EPISODEN-SAMMELSURIUM...

Ein "fleißiger Taugenichts" ist der knapp nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien geborene Julian Passauer. Im Dachgeschoss von Schloss Schönbrunn wächst der Sohn des stellvertretenden Direktors des Naturhistorischen Museums auf, umgeben vom Teehändler und "Hauswüstling" Hugo Cartor, dem philosophierenden "Warzenkönig" Grabowiak oder dem ehemaligen Weltklasseschwimmer Graf Eltz, einem begnadeten Geschichtenerzähler. Vaters lebenslange Sehnsucht nach dem Süden setzt sich in Julian fort. Auf einer ausgedehnten Schiffsreise umrundet Julian Afrika, er beginnt ein Studium, bricht es ab und wird schließlich professioneller Pokerspieler. Erst in der Villa Piazzoli am Gardasee scheint er zur Ruhe zu kommen und begegnet den Frauen seines Lebens. Und doch zieht es ihn wieder weiter - nach Süden.

André Heller - der künstlerische Tausendsassa hat sich schon auf vielen Ebenen versucht, beispielsweise als Chansonnier, Aktionskünstler, Kulturmanager, Kunstgärtner, neobarocker Feuerwerker, Schauspieler und als Mitbegründer des Circus Roncalli. Nun also hat er seinen ersten großen Roman geschrieben - und als Hörbuch gleich auch selbst gelesen.


"Wenig im Leben vermochte ihn trauriger zu stimmen, als der Ausgang des Ersten Weltkriegs im Jahre 1918, denn damals hatte Österreich die Zypressen verloren."



Dieser Satz relativ zu Beginn des Romans zeigt schon das Hauptthema des Geschehens: die Sehnsucht nach dem Süden. 'Nur im Süden ist Rettung', lautet denn auch das Credo, das von dem Vater auf den Sohn Julian Passauer übergeht und ihn schließlich auch lebenslang begleitet. In der Tat zieht es den Wiener nach seiner Jugend in den Süden, doch steht dieser angestrebte vollkommene Süden auch noch für anderes - für 'ein Gebiet jenseits des Schmerzes, jenseits der Verlorenheit und jenseits des vielen Schweren, das er nicht benennen konnte'. Viel Symbolik verbirgt sich also hinter dem kleinen Wort. Das Buch handelt letztendlich von dem lebenslangen Bemühen, die auch in Österreich weit verbreitete Schwermütigkeit, Melancholie, und Anfälligkeit zur Depression - 'den im Inneren lauernden Teufel' ' - abzustreifen und sich einen südländischen Zustand der seelischen Unbeschwertheit anzueignen.

Wer sich ein wenig mit dem Leben und Werk André Hellers befasst, wird bei der Lektüre des Buches rasch merken, dass es durchdrungen ist von autobiografischen Einflüssen. Ein 'fleißiger Taugenichts' trifft demnach nicht allein auf den Julian Passauer zu, sondern im Grunde auch auf den Autor selbst. Heller zeichnet hier das chronologische Bild des Lebens seines Helden, wohlsituiert zunächst durch seine Eltern, später dank der Schule eines begnadeten Pokerspielers, beginnend im Wien der Nachkriegszeit, und rollt dieses Leben anhand zahlreicher biografischer Momentaufnahmen auf: Episoden, Begebenheiten, Situationen und Gespräche mit seinen Eltern, Freunden der Familie, Wegbegleitern und Menschen, denen er zufällig begegnet, später auch mit den Frauen, die in seinem Leben eine große Bedeutung spielen. Im Grunde ist dies meiner Meinung nach auch kein wirklicher Roman, sondern ein Sammelsurium an Episoden, die trotz zahlreicher und teilweise extremer Brüche zwischen den einzelnen Szenen zusammengesetzt ein Leben zeichnen. Doch auch Gedankengänge, Träume und Visionen des Julian Passauer werden in diesen Episoden wiedergegeben - und ich glaube, mich nicht zu sehr aus dem Fenster zu lehnen, wenn ich vermute, dass der Leser so auch einen tiefen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt des André Heller erhält.

Tatsächlich wird sich vieles in dem Roman für einen alteingesessenen Wiener oder Österreicher eher erschließen als für den Norddeutschen - seien es Anspielungen auf Personen oder Geschehnisse, sei es auch die Sprache selbst, denn einige Ausdrücke ließen mich zunächst mit einem Fragezeichen zurück. 'Gschaftlhuberei', 'Wimmerln', 'miachten' oder 'Blunzengröstl' kommen zumindest in meinem alltäglichen Wortschatz nicht vor, so dass ich mich zeitweise auch vor eine Vokabelübung gestellt sah. Dennoch verfügt das Wienerische über einen enormen Charme, dem auch ich mich nicht entziehen konnte, zumal wenn man dabei André Heller selbst mit seiner unverkennbaren und warmen Stimme im Ohr hat.

Allerdings gab es hier neben durchaus poetischen und gelungenen Umschreibungen und Szenen für mich häufig ein 'Zuviel'. Detaillierteste langatmige Beschreibungen eines Gartens oder eines Zustandes empfand ich als ermüdend, die Erhöhung einer Frau zum Gesamtkunstwerk als übertriebene Manieriertheit. So erging es Julian Passauer beispielsweise beim Blick in die Augen seiner Köchin:


"Dann las er Note für Note die Melodie und deren Orchestrierung, das Gelesene begann in seinen Ohren zu klingen, und der Klang schuf Bilder großzügiger unbesudelter Landschaften, üppiger Vegetation, in denen er umherwandeln konnte wie in den Bühnendekorationen der Aufführung eines Stücks, das nichts Geringeres als seine eigene Seele zum Autor und Regisseur hatte..."


So prunkvoll André Heller seine Aufführungen auch immer gestaltet hat, so prunkvoll gestaltet er hier auch jeden einzelnen Satz aus - mir war es letztlich nicht möglich, jedem dieser Sätze immer die Aufmerksamkeit zu schenken, die er erfordert hätte. Auch gelang es mir nie, mehr als zwei oder drei Episoden hintereinander zu lesen, so dass sich die 336 Seiten letztlich recht lange hinzogen.

Die CD mit der vollständigen Lesung sowie das Buch gleich dazu habe ich als Geschenk erhalten, das ich wirklich zu würdigen weiß. Allerdings werden wahre Fans André Hellers von dem Roman sicher noch begeisterter sein. Mir verschaffte es einen interessanten Einblick in die (Gedanken-)Welt des schillernden Künstlers...


© Parden
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