Cover des Buches Das Paradies (ISBN: 9783608503050)
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Rezension zu Das Paradies von Andrea H. Hünniger

Rezension zu "Das Paradies" von Andrea H. Hünniger

von mecedora vor 12 Jahren

Rezension

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mecedoravor 12 Jahren
"Im Nachhinein wird dieses DDR-Land eine Art Wunschbild, ein Träume-Schäume-Fata-Morgana-Staat. Es gibt so viele verschiedene DDRs im Kopf, je nachdem, in wessen Gegenwart man sich befindet" (S. 199) Andrea Hanna Hünniger beschreibt in "Das Paradies" das, was der Untertitel schon spezifiziert: Ihre "Jugend nach der Mauer". Sei tut dies aus einer Situation heraus, die eine ganze Generation betrifft: aufgewachsen in einem Staat, der für einen Heimat, Normalität und Schablone für die Weltsicht war und der plötzlich, quasi über Nacht, in dieser Form nicht mehr existiert, plötzlich Teil eines anderen, Teil des Staates geworden ist, der vormals geradezu Feindesland war. Man lebt in der selben Stadt wie zuvor auch, in der selben Wohnung inmitten der selben Familie - und lebt doch ganz woanders. "Die Einheit war für uns lange ein Raubzug, ein Kahlschlag, eine Zerstörung, eine Brandrodung" (S. 66), eine Situation, die einem vieles nimmt, was selbstverständlich war und einen zwingt, seine ganze Welt und seine ganze Weltsicht zu verändern. Andrea Hanna Hünniger gehört "zu einer Generation, die in den Achtzigerjahren geboren wurde und 1989 zu jung war, die neuen Freiheiten zu nutzen, um sofort das Land zu verlassen (...). Der Fall der Mauer war für uns schon Teil einer unbekannten Vergangenheit. Eine Erinnerung von anderen." (S. 62) Zu genau dieser Generation gehöre ich auch, allerdings bin ich im "Westen" geboren und aufgewachsen, weshalb ich auf dieses Buch und die Sicht der Autorin besonders gespannt war. Episodenhaft, teilweise essayistisch, beschreibt Andrea Hanna Hünniger in neun Kapitel ihre Lebenswelt, deren Veränderungen und Probleme und zeigt dem Leser dabei vor allem eines: es gibt nicht nur eine Realität, nicht nur eine Wahrheit. Die Einheit war nicht nur die herbeigesehnte und in den Medien gefeierte Befreiung und Vereinigung der beiden deutschen Völker, sondern bedeutete auch eine Entwurzelung eines ganzen Landes, die Auslöschung eines Staates, einer Ideologie, einer Vergangenheit. Die Autorin verfällt weder in Jubelbezeugungen ob der Einheit, noch ergeht sie sich in ostalgischen "in-der-DDR-war-alles-besser-"Bekundungen, sie beschreibt nüchtern, beinah sachlich (auch wenn ich die vom Verlag vorgenommene Einordnung des Buchs als "Sachbuch" nicht wirklich passend finde) eine Lebensrealität einer entwurzelten Nation, einer Generation, die sich plötzlich in allen Bereichen neu verorten muss. Um an dieser Stelle den von mir hoch geschätzten Thomas Meinecke zu zitieren, der auf dem Klappentext von Hünnigers Buch zu Wort kommt: "Die brillante literarische Re- und Dekonstruktion Ostdeutschlands durch eine 1984 in Weimar geborene Erzählerin" - ich persönlich würde das "brillante" ausklammern; dem Rest der Einschätzung Meineckes kann ich mich voll und ganz anschließen. Ein Buch, das, erwartet man keine unterhaltsame Lebensgeschichte, keine stringente Handlung und keine klischeehaften Einschätzungen (sei es DDR-verherrlichender oder DDR-kritischer Art), nachdenklich macht, erklärt und einem ganz einfach ein Stück deutsch-deutscher Realität zeigt, ohne aufgeregt daherzukommen. Von mir für dieses Buch 4 Sterne.
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