Der US-amerikanische Schriftsteller Samuel W. Gailey hat mit die "Die Schuld" einen außergewöhnlichen Krimi geschrieben. Ich sehe eine Nähe zu den Geschichten von Patricia Highsmith, insofern es auch dort in der Regel um "Durchschnittsmenschen" geht, die durch ein bestimmtes Ereignis aus dem Gleichgewicht geraten.
So ergeht es in "Die Schuld" der Protagonistin Alice. Sie ist eine gute Schülerin und ambitionierte Schwimmerin und führt mit ihrer Familie ein geordnetes Leben. Doch diese Idylle findet durch einen tragischen Unfall ein abruptes Ende. Wie es zu diesem tragischen Vorfall ganz konkret kommt, wird nicht im Detail aufgeklärt, steht doch im weiteren Verlauf der Geschichte Alices! Verarbeitung des Erlebten im Mittelpunkt. Was man erfährt ist, dass die 15 jährige Alice auf ihren 4jährigen Bruder Jason aufpassen soll, als die Eltern ausgehen. Jason treibt Alice auf die Palme, indem er ihre Zimmerwände mit Nagellack bemalt. Sie schreit ihn an, schimpft und konzentriert sich darauf, diese "Schmierei" zu beseitigen., bis dumpfe monotone Geräusche zunehmend ihre Aufmerksamkeit erregen. Als sie diesen nachspürt und in den Keller geht, bemerkt sie, dass die Geräusche vom Trockner ausgehen, in dem sich ihr kleiner Bruder befindet. Er überlebt dies nicht. Dies geschah im Jahr 2005. Es gibt eine zweite Erzählebene, die 6 Jahre später Alices' Leben beleuchtet. Inzwischen lebt sie auf der Straße, ist dem Alkohol zugeneigt und jobbt in einer Art Stripperlokal. Während sie sich Normalität und Vergebung ihrer Eltern wünscht, prägen schicksalhafte Begegnungen ihren weiteren Lebensweg. Sie gerät wiederholt in prekäre Situationen und läuft Gefahr, bei der Flucht vor sich selbst ihre Lebensperspektive komplett zu verlieren. So wacht sie eines Tages neben der Leichte ihres Chefs Terry auf und findet eine Tasche mit Drogen und 91000 Dollar Bargeld bei ihm. Alice hat einen Filmriss und erinnnert sich nicht, wie sie in diese Situation hineingeraten konnte. Zwar lernt sie Handlanger der Drogenmafia höchstpersönlich kennen, aber sie scheint sich nicht bewusst, dass deren Chef Stanley ihr auf den Fersen ist und ihr dadurch große Gefahr droht...
Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und habe insbesondere mit Alice mitgefiebert. Auch wenn es durch die Verfolgungsjagd reichlich Action und Spannung gibt, so überzeugte mich Gailey eher durch die tiefen Einblicke in die Psyche und die charakterliche Entwicklung von Alice. Ob es gerechtfertigt erscheint, ihn deshalb in die schriftstellerische Nähe des großen John Steinbeck zu rücken, sei dahin gestellt. Aber hier wie dort geht es um besonderes vulnerable Charaktere, die mit ihrem Platz im Leben struggeln. Ich finde das Buch für einen Krimi in dieser Hinsicht außergewöhnlich tiefgründig. Über den zweiten Strang der Geschichte insbesondere mag man geteilter Meinung sein. Die Verfolgungsjagd war nicht ganz meins, aber die Sprache, die Gailey hier verwendet, scheint dem Milieu, in dem wir uns thematisch befinden, angemessen. Die Geschichte ist am Ende für mich rund, auch wenn eine Frage mir lange Zeit Kopfzerbrechen bereitete. Aber auch darauf fand ich dann doch eine Antwort, der Leserunde sei Dank.
Insgesamt empfehle ich den Krimi, in dem die Motive Schuld und Vergebung eine zentrale Rolle spielen, sehr gerne weiter und freue mich auf weitere Werke aus dem Polar Verlag.