Cover des Buches Das Artefakt (ISBN: 9783453528659)
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Rezension zu Das Artefakt von Andreas Brandhorst

Lüge oder Wahrheit, Sein oder Schein?

von Heimfinderin vor 11 Jahren

Rezension

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Heimfinderinvor 11 Jahren
Vor 600 Jahren hat die Menschheit eine Katastrophe verursacht, die viele Welten verwüstet oder zerstört hat. Die Ägide, eine kurz nach diesem Ereignis gegründete Organisation, leistet für diese Gefallenen Welten Entwicklungshilfe und versorgt sie in begrenztem Umfang mit technischer Ausrüstung und wacht durch Entsendung von Missionaren darüber, dass der Frieden bewahrt wird. Diese Bevormundung erzeugt zwar Missgunst und Neid, aber die Ägide ist von der Notwendigkeit dieser speziellen Kontrolle überzeugt, denn die Menschheit ist kurz davor, in den Kreis der Hohen Mächte, eine hochentwickelte Zivilisation, aufgenommen zu werden und somit Zugang zum universalen Wissen der Kosmischen Enzyklopädie zu erhalten. Kurz vor Ablauf der Bewährungsfrist erwacht nun aber ein mysteriöses Artefakt auf dem Planeten Heraklon, das Begehrlichkeiten unter den verschiedenen Gruppierungen weckt, scheint es doch eine besondere Schmiede zu sein, die dem Besitzer unermessliche Macht verspricht. Die bisher klein gehaltenen Welten sehen ihre Chance gekommen, endlich auch Zugriff auf hochentwickelte Technik zu bekommen und das Ziel, den Frieden zu bewahren, drängt sich in den Hintergrund.

Zu diesem Zeitpunkt wird auch Rahil, ein Missionar der Ägide, zur Untersuchung des Artefakts ausgesandt, kommt aber dabei ums Leben. Die technischen Voraussetzungen der Ägide machen aber mithilfe seines gespeicherten Bewusstseins die Wiedergeburt eines neuen Rahils möglich. Allerdings fehlen in diesem Image die Erinnerungen des letzten Jahres, was Rahils Aufgabe nun erschwert. Zusammen mit seinem neuen Assistenten macht er sich noch einmal auf den Weg nach Heraklon, um seine fehlenden Erinnerungen dort zu finden und den Krieg um das Artefakt, das auf keinen Fall in falsche Hände geraten darf, zu verhindern. Unterwegs holt ihn seine eigene Vergangenheit ein und zerrissen zwischen Pflicht und Zweifeln, Wahrheit und Lüge, fällt es ihm und dem Leser immer schwerer, zwischen Sein und Schein zu unterscheiden.

Die von Andreas Brandhorst dargestellten Welten waren für mich bisher immer etwas Besonderes und so war es auch diesmal wieder. Mit seinen bildhaften Beschreibungen erzeugte er bei mir wieder sehr schnell intensives Kopfkino und ließ mich oft staunend die dargestellte Umgebung betrachten oder innehalten, wenn die Zeit stillstand oder auch die so toll spürbar gewordenen Empfindungen miterleben. Sein so besonderer Schreibstil hat mich gleich von den ersten Seiten an wieder voll in seinen Bann gezogen. Und auch die beschriebenen Charaktere sind wieder gewohnt vielschichtig und weckten gleich wieder mein Interesse. Gerade, weil die Figuren nicht einfach nur schwarz oder weiß sind, bieten sie viel Raum für Spekulationen und überraschen einen immer mal wieder. Dabei entwickeln sie natürlich auch viel Tiefe und lassen mich als Leser sehr viel über sie und ihre persönlichen Beweggründe nachdenken und mit ihnen mitfiebern.

Und das ist ein weiterer Punkt, der mir bei den Büchern des Autors sehr gut gefällt und der auch hier wieder großes Gewicht hatte: man wird zum Nachdenken angeregt. Die Frage nach Lüge und Wahrheit, Sein und Schein zieht sich spürbar durch die Geschichte und verunsichert nicht nur die Protagonisten. Als Leser wird man hineingezogen in diese Welt, deren scheinbar feste Säulen auf wackeligem Boden zu stehen scheinen und in der man irgendwann nicht mehr sicher sein kann, wem man noch trauen kann und wem nicht, wer die Wahrheit sagt und wer lügt. Was ist überhaut die Wahrheit? Wer bestimmt über Wahrheit und Lüge? Wie viel wurde von wem manipuliert oder verdreht? Wer ist Opfer, wer Täter? Was ist richtig, was ist falsch? Kann Rahil sich selbst überhaupt noch trauen? Kann ich Rahil trauen? Wer und was ist Sein, was nur Schein? Dabei entstand bei mir ein seltsam verunsichertes, aber sehr spannendes Lesegefühl, das mich bis zum Ende unter Anspannung hielt und mich dann zur Auflösung regelrecht aufatmen ließ.

Mit den weiteren, ebenfalls zum Nachdenken anregenden Themen wie Entwicklungshilfe und ein konfliktreiches Vater-Sohn-Verhältnis ist dies für mich wieder eine intensive, gehaltvolle und dabei sehr spannende Geschichte gewesen, die mich mit ihren bildgewaltigen Beschreibungen und ihren aussagekräftigen Sätzen tief hat einsinken und mitfiebern lassen. Ich freue mich schon auf das nächste Werk von Andreas Brandhorst!
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