Andreas C. Knigge

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Autor*in von Comics.

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Neue Rezensionen zu Andreas C. Knigge

Cover des Buches Stuck Rubber Baby (ISBN: 9783942649285)
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Rezension zu "Stuck Rubber Baby" von Howard Cruse

Christopher_B
Veränderer, das sind die anderen

Wenn Cross Cult Stuck Rubber Baby veröffentlicht, eine großartige Graphic Novel über einen jungen Mann, der homosexuell ist, es aber nicht sein darf und nicht sein will, zur Zeit der US-Bürgerrechtsbewegung in den frühen 1960er Jahren, dann darf gefragt werden: Was hat das mit dem Hier und Jetzt zu tun?

Howard Cruse heißt der Mann hinter diesem Comic, einer der großen US-Independent-Altmeister wie Robert Crumb oder Harvey Pekar. Obwohl seine Geschichte über den jungen Toland Polk fiktiv ist, erzählt Cruse ständig von sich selbst, von seinen eigenen Erlebnissen und seinen eigenen Problemen. Wie jede gute Erzählung mit autobiographischem Einschlag ist Cruse dabei selbstkritisch bis ins Mark.

Die unzähligen Details und die den Leser fast überfordernde Anzahl an handelnden Figuren sind Anzeichen dafür, dass das alles tatsächlich so irgendwie passiert ist, damals, in den Sechzigern, in den USA. Aber was hat das mit uns zu tun? In Deutschland und in anderen westlichen Ländern sind gleichgeschlechtliche Ehen inzwischen möglich. Viele Menschen, die im Rampenlicht stehen, bekennen sich offen zu ihrer Homosexualität. Die Bürgerrechtsbewegung liegt fünfzig Jahre in der Vergangenheit, auf einem anderen Kontinent. Und der letzte Präsident der USA war schwarz. Wurde Stuck Rubber Baby von der Zeit überholt?

Verändern wir für einen Moment den Blickwinkel. Stuck Rubber Baby wurde in Deutschland zum ersten Mal 1995 veröffentlicht, damals bei Carlsen unter dem Titel Am Rande des Himmels. Das war zwar gezwungen poetisch, jedoch fern jeglicher Übersetzung. Dabei ist der Originaltitel ein Schlüssel zum Verständnis von Cruse‘ Werk.

Es gibt da diese Szene, in der Toland Polk mit seiner Freundin Ginger schlafen möchte, ein Kondom aus der Tasche holt und feststellt, dass es alt und eingetrocknet ist. »Selbst eine Herde Elefanten hätte es nicht aufrollen können.« Getrocknet und zusammengeklebt – das ist das Stuck Rubber. Zum Geschlechtsverkehr kommt es nicht. Stattdessen gesteht Toland seiner Freundin, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Er macht damit einen ersten Schritt in Richtung Coming-Out, hin zu Wahrheit und Veränderung.

Wenn Cruse das alte Gummi zum Titel des gesamten Comics erhebt, wird daraus ein Symbol. Natürlich ist mit Stuck Rubber Baby die Hauptfigur Toland Polk gemeint – der wiederum das Alter Ego des Autors selbst ist. Aber dieses Eingetrocknete, Unbewegliche, jeglichen Schritt zur Liebe Verhindernde steht auch als Zeichen für den jungen Weißen, der den Kampf der Bürgerrechtsbewegung mehr passiv als aktiv erlebt, der das Risiko scheut, denn es ist ja nicht sein Kampf. Er ist lieber Zaungucker, Teil einer Gesellschaft, die feststeckt und unbeweglich geworden ist. Veränderer, das sind die anderen.

Und so verbringt Toland Polk in diesem Buch ein unglückliches, nachdenkliches Leben zwischen Selbstverleumdung, Angst und Zweifeln. Was er ist, will er nicht sein. Was er sein sollte, könnte er nachlesen. Und zwar im Dixie Patriot. In dieser rechtsradikalen Zeitung steht, was einen guten Amerikaner in den 1960ern angeblich ausmacht. Er ist nämlich weder schwul noch schwarz. Toland duckt sich unter dieser Disziplinierung weg, taucht ab, ist zu ängstlich, um dagegen aufzubegehren.

Er ist nicht das heldenhafte Individuum, das sich gegen ein ungerechtes System wehrt. Er ist das eingeschüchterte Individuum, das versucht, sich mit einem ungerechten System zu arrangieren. Und trotzdem auf die große Veränderung hofft. In der Darstellung dieses Zwiespalts ist Stuck Rubber Baby zeitlos und universell. Ein subtiler und kraftvoller Apell, niemals einzutrocknen, sondern nach Liebe und Gerechtigkeit zu streben.

Cover des Buches Falsches Herz (ISBN: 9783867890687)
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Rezension zu "Falsches Herz" von Lawrence Block

Stefan83
Das Mädchen mit dem langen grünen Haar

Im September 2004 ging der Verlag „Hard Case Crime“ in den USA an den Start. Sein Programm: Das in den 60er Jahren für den schnellen Lektüre-Verbrauch konzipierte Genre der Pulp-Krimis durch längst verloren geglaubte Noir-Klassiker und die stärksten Werke zeitgenössischer Autoren neu zu beleben. Ein Konzept das aufging, denn die Reihe geht 2011 bereits in ihr siebtes Jahr. Grund für den Erfolg ist neben der treffsicheren Autoren- und Titelauswahl sicherlich auch die herrliche klassische Cover-Gestaltung. Die hat der Rotbuch-Verlag eins zu eins übernommen, welcher seit 2008 einige der „Hard Case Crime“-Werke dem deutschen Büchermarkt zugänglich macht. Darunter unter anderem auch Lawrence Blocks „Abzocker“ (engl. „Grifters Game“), mit dem „Hard Case Crime“ in den USA einst begann. Mit Band zehn der Rotbuch-Reihe kehren wie nun zu Block zurück. „Falsches Herz“ (engl. „The Girl with the Long Green Heart“) ist einmal mehr ein Pulp-Krimi par excellence, der nicht nur bei den älteren Semestern unter den Lesern nostalgische Gefühle weckt, sondern dank eines sauber konstruierten Plots und knackig, flotter Sprache auch heute noch bestens unterhält.

John Hayden hat es geschafft. Nachdem er wegen Betrugs sieben Jahre lang im Gefängnis saß, konnte er letztlich doch mit seiner kriminellen Vergangenheit abschließen. Mit seiner Arbeit auf einer Bowlingbahn hält er sich über Wasser, Geld wird angespart, um sich irgendwann den Traum vom Neuanfang als Hotelier erfüllen zu können. Doch dieses irgendwann macht Hayden zunehmend zu schaffen. Er selbst wird nicht jünger und die Zeit scheint unerbittlich gegen ihn zu ticken. Genau in diesem Moment erscheint Douglas Rance auf der Bildfläche, ein Bekannter und ehemaliger Komplize, der seine Hilfe benötigt und ihn zu einem letzten großen Coup überreden will. Hayden zeigt sich störrisch, will von der Sache nichts wissen … und sagt schließlich doch seine Mitarbeit zu, denn Rances Plan ist trotz seiner Einfachheit äußerst genial.

Gemeinsam wollen sie Wallace Gundermann, einen Immobilienspekulanten aus der Kleinstadt Olean, ausnehmen. In den vergangenen Jahren hatte dieser in großem Stil billige Grundstücke und Land aufgekauft und es sich mit engelsgleicher Ruhe auf ihnen so lange bequem gemacht, bis anstehende Bauprojekte oder der Fund von Bodenschätzen die Preise in die Höhe getrieben hatten und er sie wiederum für teures Geld verkaufen konnte. Eine simple Vorgehensweise, durch die er steinreich geworden ist, allerdings auch eine herbe Schlappe einstecken musste. Betrüger hatten ihm eine wertlose „Elchweide“ in Kanada angedreht, die ihm bisher keinerlei Gewinn gebracht hat. Und Gundermann, ehrgeizig und ein schlechter Verlierer, will diese Scharte nun unbedingt wieder gut machen. Hier kommen John Hayden und Douglas Rance ins Spiel: Sie gründen im kanadischen Toronto ein Scheinfirma, die riesige Flächen von brachliegendem Waldland für wenig Geld aufkauft und treten schließlich selbst an ihr Opfer heran. Gundermann denkt nicht dran zu verkaufen, wird aber durch die Aktivität dieser Firma, die anscheinend mehr über das Land weiß als er, zunehmend neugieriger. Gibt es vielleicht dort ein geheimes Uranvorkommen?

Hayden und Rance setzen Gerüchte in die Welt und Gundermanns Sekretärin und Geliebte, die wunderschöne Evelyn Stone, tut ihr übriges dazu, um ihrem Chef Sand in die Augen zu streuen, da dieser sein Versprechen, sie zu ehelichen, augenscheinlich nicht zu halten pflegt und sie nun auf Rache aus ist. Alles scheint perfekt zu laufen, jedes Rädchen in das andere zu greifen, bis Hayden einen entscheidenden Fehler macht – er beginnt eine Affäre mit Eveyln und tut damit genau das, was ein Profi eben in so einer Situation besser nicht tun sollte … er vermischt das Geschäft mit der Liebe.

„Falsches Herz“ beinhaltet alles, was ein guter Krimi-“Noir“ haben sollte. Gewiefte, aber glücklose Gangster, ein hilfloses Opfer sowie eine Femme Fatale, welche mit ihren verführerischen Fähigkeiten ordentlich Chaos verursacht und aus einem Routine-Betrug ein ganz heißes Eisen macht. Insofern zeigt bereits das Cover deutlich, was einen hier erwartet. Und der geneigte Block-Leser, weiß ohnehin was auf ihn zukommt, bleibt doch der Autor eigentlich immer seinem Erfolgsschema treu. Er lässt sich Zeit, um den bis ins Detail ausgeklügelten Betrug zu inszenieren, gönnt uns einen Blick in den zwar komplizierten, aber besonders in seiner Vorbereitung äußerst spannungsarmen kriminellen Coup, der bereits zu Beginn so seine Fehlerchen durchschimmern und wenig Gutes erwarten lässt. Haydens Traum vom eigenen Hotel steht im harten Kontrast zur Wirklichkeit. Ein echter Profi könnte sich derartiges nicht erlauben. Hayden ist alt geworden, schwach, anfällig. Seine sich selbst eingeredete Läuterung hat im Angesicht des langvermissten Kicks bei einem Betrug keinerlei Bestand mehr. Die Aussicht, jemanden nach Strich und Faden auszunehmen, lässt ihn alle Vorsicht über Bord werfen. Und die Schönheit von Evelyn Stone bringt ihn letztlich komplett vom Kurs ab. Wer das „Noir“-Genre kennt, weiß das so etwas nicht lange gut gehen kann.

Überhaupt liegt auf „Falsches Herz“, nicht nur aufgrund der ruhigen Schilderungen des Autors, dieser Hauch von Tragik und Melancholie. Das Buch liest sich wie der Abgesang eines zwar ausgeschlafenen, aber auch zu naiven Gauners, der seinen Zenit überschritten hat und der sein Feld für die viel gewissenlosere nächste Generation räumen muss. So gekonnt und detailliert wie Block das Betrugsunternehmen aufzieht, so sicher ist man sich auch, dass es scheitern muss. Und um es scheitern zu sehen, liest man weiter. Blocks Sprache ist dabei zwar ohne Höhepunkte, aber in ihrer Glanzlosigkeit auch irgendwie mitreißend. Die Handlungsorte werden sparsam bis überhaupt nicht beschrieben, auf die Darstellung der äußeren Umgebung kein Wert gelegt. Allein die hier benutzten Kommunikationsformen lassen erahnen, dass man sich in den 60ern befindet. Abgesehen davon könnte das Buch auch erst kürzlich auf dem Büchermarkt aufgeschlagen sein. Mit dem einzigen Haken, das in der Zeit von Handys, Fax und Notebooks dieser Coup wohl gar nicht mehr durchführbar wäre.

Das tut dem Lesevergnügen allerdings auch keinen Abbruch. „Falsches Herz“ sagt mit wenigen Worten zwar nicht alles, aber das nötigste. In Zeiten von ausschweifenden Persönlichkeitsanalysen und Forensik-Bla-Bla ist diese kühle, knappe Schreibe eine herzerfrischende Abwechslung. Und trotz dem wenig originellen und streckenweise offensichtlichen Aufbau der Geschichte, muss sich der Leser um die Spannung keine Sorgen machen. Das Seitenblättern geschieht automatisch, der Sog stellt sich sofort ein. Und Block gelingt es einmal mehr, gewieft mit unseren Erwartungen zu spielen und dank genialen Timings uns letztlich doch die ein oder andere Überraschung zu kredenzen.

Insgesamt ist „Falsches Herz“ eine äußerst lesenswerte Neuauflage eines lange vergriffenen Noir-Klassikers, die zwar nicht ganz das Niveau des ersten Block-Bands dieser Reihe („Abzocker“) erreicht, aber dennoch jedem Freund von gut geplotteten Gaunergeschichten nur ans Herz gelegt werden kann. Ein Oldtimer, der kaum Staub angesetzt hat und uns auf weitere Werke der „Hard Case Crime“-Reihe, insbesondere von Block, freuen lässt.

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