Der Titel „Atlas der unbegangenen Wege“ fordert mich zum Widerspruch heraus. Wie kann man eine Karte von Wegen zeichnen, die man nicht begangen hat, habe ich mich gefragt, als ich das Buch mit dem türkis-blauen Einband zum ersten Mal in die Hand nahm. Auf dem Cover ist ein Kompass zu sehen. Linien, die an den Verlauf von fließendem Wasser auf Sand erinnern, schmücken den Einband. Wasser sucht sich seinen Weg. Wir suchen unseren Weg am Strand des Lebens. Das kam mir beim Ansehen in den Sinn. Der Untertitel verrät Näheres: „Eine Reise zu dir selbst“. Ich drehe das Buch um und erfahre: Es geht um Transformation, wie wir mit herausfordernden Phasen umgehen und uns neu ausrichten. Melanie Wolfers und Andreas Knapp erzählen von eigenen Erfahrungen des Umbruchs und verbinden sie mit grundsätzlichen Überlegungen und Fragen zur Selbstreflexion.
Neugierig blättere ich und verschaffe mir einen Überblick, was mich erwartet. Gleich gefallen mir die farblich hervorgehobenen Überschriften. Die Gedichte von Andreas Knapp sind ganz in Türkis gehalten. Nach jedem Kapitel gibt es Fragen und Platz für Einträge. Weil die 221 Seiten des Buches durch 7 Kapitel gut strukturiert sind, gehe ich zunächst davon aus, schnell fertig zu sein. Doch bald merke ich: Ich will damit arbeiten.
Im 1. Kapitel „Hallo, hier spricht dein Leben“ werden Leserinnen und Leser dort abgeholt, wo sie stehen, dazu angeregt, zu schauen, was den Alltag bestimmt, wo sich vielleicht Impulse zur Veränderung bemerkbar machen, welche heimlichen Träume wiederkehren. Wie wäre es, der leisen Stimme der Sehnsucht Raum zu geben? Konkrete Tipps folgen, wie das gelingen kann. „Wofür bin ich bereit, mich mit all meiner Kraft einzusetzen …“, lautet eine der Fragen zur Reflexion. Schon vor Ende des ersten Kapitels hat mich das Buch gepackt wegen der sehr persönlichen Tagebucheinträge von Andreas Knapp und Melanie Wolfers.
Im 2. Kapitel geht es um äußere und innere Hindernisse, die sich in den Weg stellen und den Start blockieren, wenn wir uns entschieden haben, in eine neue Richtung loszugehen. Die für mich wichtigste Frage aus diesem Kapitel: „Was hält mich davon ab, das zu leben, was mir wichtig ist?“ Kapitel 3 beschäftigt sich mit dem Schrecken, der jeder Schwelle innewohnt. An der Grenze zwischen unserer alten und der neuen Welt entscheidet sich, ob der Aufbruch gelingt. Im 4. Kapitel sind wir „unterwegs auf unbegangenen Wegen“, haben etwas Belastendes hinter uns gelassen und spüren freigewordene Energie. Beispiele aus Beratungen und biblische Geschichten ergänzen sie. Andreas Knapps Gedicht „im unwegsamen“: „der weg zieht sich / und stetig entzieht sich / das ziel meinen augen …“ beschreibt Gefühle in dieser Phase, die kräftezehrend sein kann.
Kapitel 5: „Kämpfen bis zuletzt“ unterstützt dabei, die Situation anzuerkennen, wie sie ist, den Tiefpunkt zu durchschreiten und hinter sich zu lassen. Mein Highlight aus Kapitel 6, das vom Fördern verborgener Schätze erzählt, ist ein Brief von Andreas Knapp aus der Sahara, in dem er von seinen Schwierigkeiten mit dem Neuanfang berichtet. Im siebten und letzten Kapitel geht es um den Rückweg in den Alltag und den Versuch, das neu Gewonnene zu stabilisieren – Schritt für Schritt.
Der Ratgeber löst das Versprechen, während einer Neuausrichtung ein Kompass zu sein, ganz und gar ein. Ich habe zu einigen meiner Themen jetzt mehr Klarheit. Das Buch empfehle ich sehr gern weiter.
Tiefsinnig, feinfühlend und motivierend habe ich den Frauenstimmen-Podcast #98 von Ildikó von Kürthy empfunden, in dem sie mit der Autorin über das Buch spricht: "Jeder Schwelle wohnt ein Schrecken inne – wie wir mit Melanie Wolfers den Mut zum Aufbruch finden." Ursprünglich wollte ich nur reinhören, habe dann aber dem ganzen Gespräch gelauscht, mit Freude und Gewinn!