Cover des Buches Zwischen zwei Wassern (ISBN: 9783709971321)
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Rezension zu Zwischen zwei Wassern von Andreas Neeser

berührende Einsichten in einen traumatisierten Menschen

von Buchwurmchaos vor 10 Jahren

Kurzmeinung: Weniger ein Buch um die Trauer eines Verlustes, als ein Buch, das sich mit dem Weiterleben danach beschäftigt.

Rezension

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Buchwurmchaosvor 10 Jahren
"Zwischen zwei Wassern" von Andreas Neeser hat mich sehr berührt. Es erzählt von zwei Menschen, die sich in der Mitte des Lebens trafen und sich verliebten, intensiv, gradlinig und kompromisslos. Fernab jeder Backfisch-Verliebtheit mit hoher Erwartung und überzogenen Zukunftszielen, sondern bilderbuchgleich als gereifte und erfahrene Wegbegleiter, die jeweils bereits ein mehr oder weniger erfülltes Leben gelebt hatten und jetzt fähig sind, sich auf die schönen Seiten, dem eigentlich Lebenswerten, dem Lebensgenuss zu konzentrieren. Gemeinsam erfüllend.
Sie sind im Urlaub bei einem guten Freund des Mannes, befinden sich in den Felsen direkt am Meer als sich lautlos und unerwartet eine dieser berüchtigten Mörderwellen am Meeresrand aufbaut, eine dieser Wellen für die die Bretagne bekannt und gefürchtet ist.
Es gibt keine Chance zu entkommen.
Der Mann überlebt schwerverletzt, die Frau ist verschwunden.

Als Leser lernen wir den Überlebenden ein Jahr später kennen und Stück für Stück erschließt sich das Grauen. Wir sehen seinen Zustand heute, körperlich wiederhergestellt, gesund und munter kann er wieder am Leben teilnehmen, hat sein Leben geordnet und gelernt wieder alleine klarzukommen. Er kommt wieder zur Bretagne um an der Unglücksstelle Abschied zu nehmen. Oder besser: Für sich einen Weg zu finden um Loslassen zu können. Und gleichzeitig bewegen wir uns als Leser auf die Erinnerung der Tragödie zu.

Für mich ist es weniger ein Buch der Trauerbewältigung, wir gehen hier nicht durch die Schritte der Trauer, die hat der Überlebende bereits hinter sich. Mich hat die Geschichte gefühlsmäßig völlig gepackt und unerwartet tief getroffen, denn es ist die Geschichte eines traumatisierten Menschen, der schwer verletzt eine unfassbare und logisch nicht zu begreifende Tragödie überlebte, um mit dem Leben fortzufahren. Einem Leben, das von aussen besehen lebenswert und "normal" ist, das man aber eigentlich nicht mehr leben möchte.
Ich muss dazu sagen, dass ich selbst seit Jahren an einem posttraumatischem Belastungssyndrom leide, und ich habe mich in dieser Geschichte wiedererkannt. Es war, wie wenn mir der Autor einen Spiegel vorhält, nur spiegel ich mich darin männlich und in einer anderen Lebenssituation. Und im Gegensatz zu mir sind diesem Mann Freunde geblieben. Freunde, die ihm Zeit geben und auch die Freiheit seinen eigenen Weg zu finden.
Aber die Botschaft ist die, die mich so kalt erwischte: Nach einer "Lebenskrise" kann man zwar nach aussen ein neues Leben aufbauen, denn die Zeit geht für die Überlebenden weiter, aber nach innen bleibt man zerstört. Man kann mit dem "geschenkten" zweiten Leben nichts anfangen, es ist sinnlos und leer. Man lebt als Hülle, während das eigene ICH Abstand genommen hat, man entfernt sich von sich selbst, von den anderen unbemerkt, die sich freuen, dass man noch lebt und ständig ermutigen oder mit Vorwürfen bearbeiten, aber man selbst ist nicht mehr da.
Danke für diesen Trost, ich fühlte mich das erste Mal seit Jahren verstanden!


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