Rezension zu "Das Lied des Polyphem" von Andreas von Klewitz
„Das Lied des Polyphem“ von Andreas von Klewitz.
Bisher habe ich mich immer gewundert, wenn man mit Leuten über die Naziverbrechen geredet hat, dass dann zu 99% die Antwort kam „Sowas hätte ich nie gekonnt“ und „Das müssen alles kranke Monster gewesen sein“.
Ich selber war mir da nie sicher. Wenn man lange genügend „gebrainwashed“ wurde, zu was dann jeder Normalsterbliche fähig wäre. Wer weiß, wozu ich in der Lage gewesen wäre?! Auch wenn ich zur Beruhigung sagen kann, dass ich von meiner familiären Vergangenheit berichten kann, dass dort keiner in irgendwelche Verbrechen verwickelt war und einige auf der Flucht waren, bzw. sich jahrelang verstecken mussten, da sie kein kleines Zahnrad in Hitlers Horrorherrschaft sein wollten.
Aber zurück zum Buch.
Harald Gerneweg ist der einzige Sprössling einer gut betuchten Familie, kann dem Vater allerdings nie genügen, so sehr er sich anstrengt. Er ist künstlerisch begabt und seine Mutter finanziert ihm eine Gesangsausbildung. Bei seinem jüdischen Gesangslehrer lernt er Anna kennen, eine Jüdin, die vor ihm ihre Stunde hat.
Als er an der Hochschule vorsingen soll, versagt er. Anna sitzt im Publikum, neben ihrem Vater, dem Dozenten und Prüfer.
Für sein Versagen macht er vor allem seinen Gesangslehrer und Anna verantwortlich.
Obwohl er von den „Braunen“ nicht viel hält, drängen ihn später seine Verlobte und ein ehemaliger Schulfreund dazu, in die Partei einzutreten und dort eine Karriere zu starten.
Diese „Karriere“ treibt ihn bis nach Minsk, dort angekommen triefen seine Hände vom fremden Blut und sein Verstand vom Alkohol.
Es ist ein erschreckendes und einprägsames Zeugnis, wie sich ein angehender Opernsänger in ein kaltblütiges Wesen verwandelt, zu was stumme Obrigkeitshörigkeit Menschen treiben kann.
Am Ende trifft er Anna wieder. Er in Handschellen, sie als Zeugin.
Fazit: Man sollte sich selbst doch einmal ganz genau fragen, zu was man in extremen Situationen selbst fähig wäre.
Ein wichtiges Buch. Nicht nur, weil es aufklärt und eine andere Seite der Nazizeit zeigt, sondern auch, weil man sich vielleicht fünf Minuten über sich selbst Gedanken macht.