Rezension zu "Die Korrektur der Vergangenheit" von Andrew Miller
Ein unglaublich fesselnder historischer Roman, der zur Zeit der napoleonischen Kriege spielt. Beim Rückzug der desolat geschlagenen Briten aus Spanien richtet eine britische Kompanie ein Massaker in einem spanischen Dorf an. Um die Spanier, die als Partner gegen Napoleon gebraucht werden, zu besänftigen, soll exemplarisch der junge Offizier dieser Gruppe, John Lacroix, zur Verantwortung gezogen werden. Der verrohte Sergeant Calley wird zusammen mit einem spanischen Offizier ausgeschickt, Lacroix zur Strecke zu bringen. Lacroix versucht indes, sein Trauma zu verarbeiten, indem er zu den schottischen Hebriden aufbricht.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive von Jäger und Gejagtem erzählt, wobei Lacroix erst sehr spät in der Geschichte dieser Gefahr überhaupt gewahr wird. Mehrmals gibt es auf ihrer Reise quer durch Großbritannien unbewusste Begegnungen der Kontrahenten. Das ist spannend zu lesen, aber nur eine Ebene dieses komplexen, vielschichtigen Romans.
Miller verhandelt in seinem Roman Fragen von Schuld, Klasse und Moral, von gesellschaftlichem Druck und persönlicher Freiheit. Die Liebesgeschichte zwischen Lacroix und einer jungen Frau, die zu einer Gruppierung von Freidenkern gehört, illustriert die Zwänge, denen vor allem die Frauen dieser Zeit unterlagen.
Die Charaktere sind bis in die Nebenfiguren exquisit gezeichnet; selbst der mitleidlose Calley erregt unser Mitgefühl, je mehr wir von seiner Geschichte erfahren. Das historische Setting ist dermaßen überzeugend und bildhaft beschrieben, dass ich mich vollständig in diese Zeit versetzt fühlte. Dabei setzt der Autor die historischen Details sparsam und erschlägt einen nicht mit seinem Recherchewissen.
Sprachlich ist dieser Roman das Beste, was ich in letzter Zeit gelesen habe. Naturbeschreibungen von großer Zartheit und insgesamt eine Sprache, die ebenso klar wie lyrisch anmutet. Immer wieder ungewöhnliche Blickwinkel und ebenso überraschende wie sensible Vergleiche und Metaphern. Dabei wird die melancholische Grundstimmung des Romans durch einen trockenen Humor aufgelockert. Auch die kongeniale Übersetzung durch Nikolaus Stingl verdient höchstes Lob.
Es ist mir ein Rätsel, warum Miller noch nie mit dem Booker Prize geehrt worden ist. Er braucht den Vergleich mit Hilary Mantel nicht zu scheuen.
Ganz große Empfehlung meinerseits.