Cover des Buches Die Grammatik der Rennpferde (ISBN: 9783423261050)
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Rezension zu Die Grammatik der Rennpferde von Angelika Jodl

Das Leben ist ein Zebra...

von parden vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Grammatik und Rennpferde passen wohl kaum zusammen - und doch gelingt es A. Jodl hier, beides unterhaltsam aufeinandertreffen zu lassen...

Rezension

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pardenvor 8 Jahren
DAS LEBEN IST EIN ZEBRA...

Grammatik und Rennpferde? Himmel, es gibt schon seltsame Titel. Und manchmal machen sie so neugierig, dass man doch einen zweiten Blick riskiert. Wie um alles in der Welt sollen diese zwei Dinge zusammen passen? Nun, Angelika Jodl lässt einfach beides auf unterhaltsame Art aufeinander treffen.

Grammatik ist das Steckenpferd von Salli Sturm - und mehr als das. Damit verdient sie ihren Lebensunterhalt. An einem Sprachinstitut bringt sie ausländischen Studenten die deutsche Sprache bei. Doch die Sicherheit, die ihr die Regeln der Grammatik sonst auch bescheren, kann über die wachsenden Sorgen der Zweiundfünfzigjährigen nicht hinwegtäuschen. Am Institut regiert seit einiger Zeit ein neuer Direktor - und mit ihm die wachsende Angst vor Entlassungen. Um bösen Überraschungen vorzubeugen, bricht Salli aus ihrer Routine aus und beschließt, sich auf eine private Zeitungsanzeige hin zu melden: "Brauche ich Lehrer für Deutsch. Bitte anrufen mir." Darunter eine Mobilfunknummer.

Sergey Dyck ist der Inserent besagter Kleinanzeige. Der Exil-Russe lebt schon seit einigen Jahren in Deutschland, hat aber nie die Gelegenheit erhalten, die deutsche Sprache korrekt zu erlernen. Als ehemaliger russischer Jockey mistet Sergey jetzt Ställe aus, doch hat er nun einiges vor, wofür es sich lohnt, besser Deutsch zu lernen. So rechnet er sich beispielsweise aus, bessere Chancen zu haben, ein Rennpferd zu kaufen, wenn ihn der Besitzer nicht für einen armseligen Trottel hält. Als Salli auf Sergey trifft, stoßen beide rasch an ihre Grenzen - hier prallen zwei Leben aufeinander, die verschiedener nicht sein könnten...


"Als ich war Kind, ich hatte schöne leben. Später war schwieriger, weil ich muss Geld verdint für ganze familie. Auf Rennbahn ist wider besser worden. Aber jezt in Deutschland ist alles problem. So man kann sagen: mein leben ist gestreift." (...) Sie unterkringelt das letzte Wort und schreibt darüber wechselhaft. "Sonst denkt man an ein Zebra", erklärt sie. - "Sagtma so in Russland", protestiert er: "Leben is Zebra." - "Wirklich?" Sie muss lächeln. "Na schön, dann aber: Das Leben ist ein Zebra." - Artikel einsetzen, mein Gott, das muss er auch endlich lernen, denkt sie. (S. 181)


Grammatik - das klingt nach einer verflixt trockenen Materie. Und tatsächlich gab es einige Stellen im Buch, bei denen ich die Faszination Sallis für das Sujet nicht wirklich nachvollziehen konnte. Glücklicherweise waren dies meist nur kurze Einschübe in die eigentliche Handlung, so dass ich hier zügig darüber hinweglesen konnte. Auch die Thematik der Rennpferde gehört keineswegs zu meinen Hobbys, doch dominierten diese fachspezifischen Passagen noch weniger das Geschehen des Romans. Grammatik sowie Rennpferde stehen hier einfach für die Lebenswelten der beiden Hauptcharaktere.

Salli ist eine erfahrene Lehrerin für Deutsch und liebt es, sich kreative Methoden auszudenken, um ihren ausländischen Studenten die deutsche Sprache und deren Grammatik näher zu bringen. Sie geht ganz in ihrem Beruf auf, korrigiert zu Hause die Arbeiten ihrer Studenten, trifft sich gelegentlich mit einigen Kollegen, und ihr einziges Laster besteht darin, sich gelegentlich heimlich kitschige Filme anzuschauen, wenn Lebenssehnsüchte zu groß zu werden drohen. Salli lebt allein in ihrer Münchner Wohnung, die zwei Lieben in ihrem Leben sind Vergangenheit, Kinder gibt es keine. Sie führt ein korrektes Leben in geordneten Bahnen und ohne große Überraschungen.

Sergey dagegen ist ein verschlossener Charakter, der nur redet, wenn es unbedingt sein muss. Langwierigen Erläuterungen kann er nichts abgewinnen, und er findet russische Sprichwörter meist als ausreichend, um eine Sachlage zu erklären. Dafür arbeietet er hart, zum einen um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zum anderen aber auch, um seine Träume zu verwirklichen, für die er viel Geld benötigt. Als er Salli auf seine unnachahmliche Art bittet, ihn beim Kauf eines Rennpferdes zu unterstützen und auch beim Anmieten eines Hofes behilflich zu sein, rutscht die Sprachlehrerin unversehens tiefer in Sergeys Angelegenheiten hinein als geplant.

Die beiden Charaktere wirken anfangs spröde und recht unnahbar. Jedoch wird rasch klar, dass Salli durchaus ihre Sehnsüchte hat und eine scharfe Beobachterin ist. Sie analysiert das Geschehen und die Menschen um sich herum und versucht, die Regeln der Grammatik irgendwie auch auf ihr Leben zu übertragen, damit alles planbar und vorhersehbar bleibt. Doch als der wortkarge Sergey in ihr Leben platzt, verliert die Grammatik zunehmend an Bedeutung. Hinter seinem zugeknöpften Wesen ahnt Salli eine sensible Seele. Auch wenn er nicht darüber redet, gibt es Wunden in Sergeys Leben, die bis heute nachwirken. Der Exil-Russe ist zielstrebig und optimistisch, auch wenn dazu nach Sallis Meinung oft gar kein Anlass besteht. Und auch wenn die beiden anfangs umeinander kreisen wie zwei Wesen von zwei verschiedenen Sternen, können sie bald nicht mehr leugnen, dass sie sich zueinander hingezogen fühlen. Doch kann das eine Zukunft haben?

Eine leise Geschichte hat Angelika Jodl da geschrieben, eine Erzählung rund um ungewöhnliche Themen, die jedoch wohl das Leben der Autorin selbst berühren: sie unterrichtet Studenten aus aller Welt in Deutsch und reitet ein ausgemustertes Rennpferd. In jedem Fall bringt Angelika Jodl hier ihre exzellente Beobachtungsgabe zum Ausdruck, denn die sprachlichen Besonderheiten der ausländischen Studenten sind exakt herausgearbeitet und rufen beim Lesen immer wieder Schmunzeln hervor. Auch wenn mich manche grammatiklastige Passagen etwas ermüdeten, gab es ebenso Schilderungen, die mich durch ihre Bildhaftigkeit und Ausdrucksstärke begeistern konnten.


"...und fährt nun durch ein unbekanntes Land, schräg schraffiert vom Regen, mit Wiesen, die vor Feuchtigkeit zu schmatzen scheinen, und einer durch den Regen geahnten Linie zartblauer Berge am Horizont." (S. 39)



Ein ungewöhnlicher Roman mit leisen Tönen und Charakteren, die sich erst im Laufe der Erzählung nahbarer zeigen - für mich hat es sich in jedem Fall gelohnt, diesem Buch eine Chance zu geben.


© Parden
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