Rezension zu "Des Menschen Traurigkeit" von Angelika Schett
In einer Gesellschaft, in der der einzelne Mensch vor allem funktionieren und produktiv sein muss, werden Gefühle, die dieser Forderung offenbar entgegenstehen, ungern kommuniziert oder sogar vor sich selbst geleugnet. Basierend auf dieser Feststellung widmet sich die Autorin des Buches, Angelika Schett, in zwölf Gesprächen der Traurigkeit als wichtigem und tendenziell gefährdetem Gefühl des menschlichen Daseins.
Angelika Schett selbst ist Sozialpsychologin und Journalistin. Ihre Gesprächspartner sind Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten, Philosophen, Theologen und Kulturwissenschaftler. Jedes Gespräch steht unter einem speziellen Thema (das Inhaltsverzeichnis kann man sich auf hogrefe.ch oder amazon.de ansehen) und enthält sowohl themenbezogene als auch allgemeine Gedanken zur Traurigkeit. Die Autorin ist dabei nicht nur Interviewerin, sondern stellt auch ihre eigenen Ideen zur Diskussion.
Immer wieder aufgegriffen wird die Frage nach einer Abgrenzung von Traurigkeit, Trauer und Depression. Trauer bezieht sich (der Autorin nach und die meisten Interviewten stimmen ihr da zu) auf einen konkreten Verlust, während die Ursachen von Traurigkeit häufig im Dunkeln bleiben. Traurigkeit kann auch einen "süßen" Beigeschmack haben wie bspw. im "Blues" oder in den Werken der Romantik. Sehr spannend fand ich den Gedanken, dass Traurigkeit in gewissem Sinne als Gegensatz zu Depression gesehen werden kann. Wer sich seiner Traurigkeit öffnet, sie akzeptiert und somit Erfahrungen auch verarbeiten kann, wird weniger wahrscheinlich eine Depression entwickeln.
Eine Facette des Buches besteht ohne Zweifel darin, Traurigkeit als Gefühl quasi zu "rehabilitieren". Meinem Eindruck nach sind sich die Gesprächspartner darin einig, dass Traurigkeit eine sehr wichtige Emotion des Menschen darstellt und ihre Vermeidung (meist durch alltägliche Ablenkungen) dem Einzelnen eine wichtige Quelle der Selbsterkenntnis raubt. Wir verlieren an Authentizität, wenn wir uns Teilen unseres Innenlebens verschließen. Die Welt unserer Erfahrung ist polarer Natur. Ohne "negative" Emotionen kann es auch keine "positiven" geben. Unser Gefühlsleben ist zwangsläufig den Auf-und-Abs des Daseins unterworfen.
Trotz des geballten Fachwissens der Beteiligten empfand ich die Gespräche als verständlich und gut nachvollziehbar. Nicht jedes Unterthema hat mich gleich stark interessiert, dennoch konnte ich aus jedem etwas mitnehmen. Einige der Gespräche sind für mich sehr aufschlussreich und enthalten wertvolle Einsichten und Gedanken zur Traurigkeit und dem Wesen des Menschen im Allgemeinen. Neben der psychologischen hat mich dabei auch die philosophische Komponente des Themas sehr angesprochen. Für mich ist das Buch eine Empfehlung für jeden Leser, der sich mit dem - zugegebenermaßen nicht einfachen - Thema der Traurigkeit näher beschäftigen möchte.