Rezension zu "Liebesterror" von Viktorija Tokarjewa
Die vier Kurzgeschichten von Viktorija Tokarjewa verkörpern eigentlich alles, was ich an dieser Literaturform früher nicht mochte und mich auch jahrelang davon abgehalten hat, sie zu mögen. Sehr viele Shortstories sind für sich einzeln betrachtet nicht wirklich gut, sind aber auch nicht schlecht. Sehr oft fehlt der Spannungsbogen im Plot und wichtige Details in der Figurenentwicklung und in der Handlung, meist im Finale, als dass die Leserschaft wirklich in den Bann gezogen wird. Das ist auch hier der Fall. Die meisten dieser Geschichten ähneln eher abgebrochenen Szenen oder auch nicht vollendeten Fragmenten von Romanteilen, als dass sie als wirklich liebevoll abgeschlossene Werke und dramaturgisch auf hohem Niveau konzipierte eigenständige Stücke bezeichnet werden könnten. Aus den meisten dieser vier Geschichten könnte man bei detaillierterer Ausarbeitung und Überarbeitung im Plot sogar einen spannenden Roman machen, als Kurzgeschichte sind sie aber nur mediokre Fingerübungen.
Und dann werden sie einzeln Geschichte für Gechichte betrachtet als mittelmäßiger Murks auch noch unzusammenhängend und lieblos in einem Band zusammengestellt. Hier könnte es in der Sammlung eine befriedigende, spannende übergeordnete Thematik geben, aber auch hier fand ich überhaupt keinen roten Faden, kein Konzept. Ok es geht um Russland - kein Wunder die Autorin ist Russin - aber es geht nicht um die Kunstwelt (Literatur, Schauspielerei, Filmwelt) denn da passt Story 2 nicht, ebenso bei den untreuen Ehrmännern passt die Story 2 nicht, die Schwiegermütter/Mütter, die in die Beziehungen ihrer Kinder und Enkel hineinpfuschen und diese vergiften sind nur in der ersten Geschichte Liebesterror relevant, also auch in der Sammlung kann ich keinen Kontext erkennen. Manche der Geschichten, nämlich 2-4 handeln vom Umbruch der Perestrojka, aber da passt wieder Liebesterror nicht dazu, denn sie beginnt nach dem 2. Weltkrieg. Also die Zusammenstellung ist auch sehr enttäuschend.
Um das ganze Werk als Bändlchen ist es auch umso mehr schade, denn die Autorin kann gut fabulieren, sprachlich ist nichts auszusezten, und auch die Ansätze der Figurenentwicklung sind sehr gut, wie gut man sie eben in der Kürze der Geschichte ausspielen kann.
Nur im Plot weist sie meiner Meinung nach Defizite auf. Da fehlt meistens der Spannungsbogen in der Handlung. In der dritten Geschichte, die mir am besten gefallen hat, finde ich, sollte das Ende noch viel breiter und weitergehend beschrieben werden. Der Filmemacher trifft zufällig seine ehemalige Geliebte, deren Leben er unbewusst gerettet hat, in Israel wieder. Sie hat, motiviert durch den Protagonisten, den Krebs überwunden, ist nach Deutschland ausgewandert und hat als Geschäftsfrau Millionen verdient. Sie erfüllt dem Filmemacher ganz lapidar seine sehnlichsten Wünsche, indem sie, ohne mit der Wimper zu zucken, seinen neuesten Film finanziert und sehr viel Geld auf den Tisch legt. Hier endet leider die Geschichte, vor dem Erfolg des talentierten Regisseurs und Produzenten wird gemeinerweise abgeblendet und ich frage mich dann schon: Kann denn eine russische Geschichte nicht auch einmal richtig gut ausgehen? Oder auch scheitert der Mann an einer neuen Unabwägbarkeit. So oder so die Geschichte war für mich kein offenes Ende, sondern gar nicht zu Ende.
Fazit: Ich werde bei Gelegenheit mal einen Roman der Autorin probieren, die Kurzgeschichten kann ich nicht empfehlen, denn in jeder einzelnen fehlt mir etwas und als Gesamtschau taugen sie auch nichts.