Deutschland, Skandinavien, England, Frankreich, USA… das sind so die Länder aus denen 90% der Krimis in unserer Krimilandschaft hierzulande stammen (ja, die Zahl ist nur meine Schätzung, doch ich denke, damit liege ich gar nicht so fern). So ist es immer wieder ein Erlebnis in die Krimikulturen anderer Länder reinzuschnuppern. Ferne Länder, andere Kulturen, Länder, die ich persönlich vielleicht nicht besuchen werde – na, seien wir ehrlich, vermutlich werde ich die meisten davon niemals sehen. Umso spannender ist es, diese Länder literarisch zu besuchen – und für die Krimi-Nerds unter Euch ist ja klar, dass es für mich auch immer ein Krimi sein muss, der diesen Besuch einleitet. So wie Anita Nairs Krimi um Inspector Borei Gowda aus Indien.
2 Ermittlungen
Inspector Gowda hat zwei Probleme: der Mord an dem angesehenen Anwalt, Dr. Rathore, bereitet ihm und seinem Team Kopfzerbrechen und auch im privaten Umfeld sind seine Fähigkeiten gefragt, da Nandita, die Tochter seiner Haushälterin, verschwunden ist. Derweil es im Fall des Anwaltes erst mal keine Spur gibt und die Ermittlungen sich schwer gestalten, finden sie immerhin Anhaltspunkte im anderen Fall: Nandita wurde entführt.
Der Moloch
Bangalore – für mich eine Stadt, die ich mit Entwicklern und der IT-Branche verbinde. So ganz unrichtig ist das auch gar nicht, denn Bangalore stellt sich im Krimi als arbeitsame Stadt dar. Viele, vor allem Männer, strömen in die Stadt, um Arbeit zu suchen. Doch auch das ist nicht genügend, für die boomende Stadt. Arbeitskräfte werden gebraucht, aber auch Vergnügen, für die vielen Männer, die in die Stadt strömen. Was liegt da näher, als Kinder zu requirieren? Als Arbeitskräfte, als Huren. Je nach Bedarf werden die Kinder von den Straßen gelockt, fast schon gepflückt wie reife Äpfel. Menschenhandel, eigentlich Kinderhandel. Eine grausige Realität, die mich fragen lässt, wie indische Eltern sich überhaupt trauen, ihre Kinder aus dem Haus zu lassen. Die Gefahren sind allgegenwärtig und grausam. Die Polizei ist oft machtlos oder gar korrupt, die Verstrickungen reichen auch in wirtschaftliche und politische Kreise und sind umso schwerer an der Wurzel auszurupfen.
„Überall in Bangalore wurden Bäume abgeholzt, Häuser schienen über Nacht aus dem Boden zu schießen wie Pilze nach einem Gewitter, auch das trug dazu bei. Klimaveränderung. Und nicht nur das Wetter änderte sich, auch das Verhalten der Menschen. In Bangalore tummelten sich über fünfhunderttausend Wanderarbeiter, die meisten davon Männer. Sie waren zu allem bereit, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ein Gefühl von Macht zu spüren, statt nur als bedeutungslose Spielfiguren der Gesellschaft dahinzuvegetieren.“ (S. 309)
Type mit Bauchansatz
Ein Kämpfer gegen diesen Moloch ist Inspector Gowda. Er ist schon eine Type, mit seiner Geliebten Urmila, die er relativ frei treffen kann, da seine Frau wegen dem Sohn in einer anderen Stadt weilt. Frau und Sohn sind ihm fremd, doch eben Familie. Seine Untergebenen sind ihm treu ergeben, auch wenn er bei den Ranghöheren nicht gerade beliebt ist. Seine unorthodoxen Methoden und seine Unbestechlichkeit machen ihn suspekt, doch auch wenn er es selbst mit der Moral nicht ganz so genau nimmt, so nimmt er doch die Gerechtigkeit sehr ernst. Und so brummt er mit seiner Royal Enfield durch Bangalores Straßen, durchstreift sein Netzwerk aus Informanten und müht sich Schritt für Schritt durch den Sumpf der Stadt. Ja, das mag für einen Ermittler nicht ungewöhnlich klingen, doch in Bangalore und mit vielen verschiedenen indischen Gerichten untermalt ist es doch wieder etwas Anderes, etwas Neues und Spannendes.
Fazit:
Indische Kultur ganz und gar nicht bezaubernd, sondern als Nährboden für Menschenhandel und Kinderprostitution zeigt der Krimi an Inspector Gowdas Ermittlungen in der Boomtown Bangalore, zwischen Tradition und Moderne. Sehr empfehlenswert!