Rezension zu "Republik der Taubheit" von Ilya Kaminsky
Es ist Krieg. Soldaten marschieren ein in der fiktiven Stadt Vasenka. Nach einem Zwischenfall entscheiden sich die Einwohner für einen Aufstand der besonderen Art: sie stellen sich taub.
Der Dichter Ilya Kaminski, in der Ukraine geboren und als Jugendlicher mit seinen Eltern in die USA emigriert und selbst nach einer Mumps-Infektion schwerhörig, hat sein Werk „Republik der Taubheit“ bereits 2019 veröffentlicht – doch irgendwie wirkt es so, als hätte er es eigens für das Jahr 2022 geschrieben. Ist es prophetisch? Oder ist der Krieg einfach nur zeitlos? Beides gibt zu denken.
„Republik der Taubheit“ besteht aus kurzen Gedichten, welche die Schicksale von Alfonso, Sonya, Anuschka und Momma Galya beleuchten und szenisch aneinandergereiht sind. Obwohl die vordergründige Handlung schnell erzählt ist, birgt sie eine verwirrend-beeindruckende Mehrschichtigkeit in sich. Es geht nicht „nur“ um Krieg, sondern auch um Taubheit und Hinhören, um Beobachten und Wegsehen. Und schlägt sogar einen Haken zu den Unbeteiligten, sprich: uns, die wir die Bilder im Fernsehen sehen.
„Und als sie die Häuser der anderen zerbombten
protestierten wir,
aber nicht genug, wir waren dagegen, aber nicht
genug…“
so beginnt das Gedicht „Wir lebten glücklich während des Krieges“.
Kaminskis Lyrik findet unglaublich präzise Worte für die Abgründe zwischen Zusammenhalt und Verrat, Zärtlichkeit und Brutalität, zwischen der Leichtigkeit einer Liebesgeschichte und der Dramatik des Kriegsgeschehens.
„Ich wickel unser Kind in ein grünes Taschentuch,
kleines Geschenk.
Du bist gegangen, meine türknallende Frau; und ich,
ein Narr, lebe.“ (S. 42)
Obwohl hier mehrere Schicksale abgehandelt werden, die dem Leser bildreich vor Augen stehen, ist das Büchlein schmal, der Zeilenabstand groß. Und, ich gebe es zu: mir war die Leere zwischen den Wörtern teilweise zu groß. Nicht, weil sie zu wenig sagen würden, im Gegenteil! Genau diese Reduktion, diese Konzentration auf das Wesentliche trifft es umso genauer, umso schmerzhafter, umso besser. Aber ich fürchte, dieses beeindruckende Werk ist zu teuer, um es mal eben zu verschenken, zu schnelI gelesen, um sich wirklich ins Hirn einzubrennen.
Ich wäre gerne noch sitzen geblieben und hätte länger zugehört...
... dem Schweigen....
„Sieh nur, Gott –
Taube haben etwas zu sagen,
was nicht einmal sie selbst hören können.“ (S. 36)