Ann-Helena Schlüter

Ann-Helena Schlüter ist auf den Konzertbühnen der ganzen Welt bekannt. Sie ist eine großartige Pianistin und verzaubert durch ihr Spiel, aber auch durch ihre Persönlichkeit und ihr Auftreten. In ihrem Buch nimmt sie uns mit auf die Reise. Zwischen spontanen Variationen, Bühnenbesuchen von Mäusen, skurrilen Reporterfragen, Begegnungen mit Gott und langen Bahnfahrten, lässt sie uns tief in ihr Leben blicken und schreibt die mit so viel Humor und Hingabe, dass es fast wie Musik klingt.

Ann-Helena Schlüters Erzählung „Frei wie die Vögel“ ist ein außergewöhnliches Buch. Vor fast 80 Jahre traten in Lübeck vier Geistliche dem Terror und der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten mutig entgegen. Der Nachwelt in Erinnerung als die vier Märtyrer von Lübeck bezahlten sie ihren Mut und Ihre Haltung mit dem Leben.

Ann-Helena Schlüter zeichnet die inneren Konflikte und seelischen Nöte dieser vier Menschen und der ihnen nahestehenden Personen in eindringlicher Weise nach.

Kein einfaches Buch. Es fordert den Leser heraus. Er muss sich auf die beklemmende Szenerie einlassen. Lübeck im Jahr 1941 und 1942.
Für die Priester ist es eine Gratwanderung, ein ständiger Konflikt. Pflichterfüllung im Dienst der Gemeinde und Fürsorge für diejenigen, die von der Gesellschaft ausgestoßen und geächtet sind, den polnischen Zwangsarbeitern.
Innere Auflehnung gegen die offensichtlichen Widersprüche zwischen nationalsozialistischer Ideologie und dem Gebot christlicher Nächstenliebe. Der Wunsch, die menschenverachtende Rassenideologie als Irrweg zu entlarven und den ihnen anvertrauten Jugendlichen die Augen zu öffnen, ist stark. Stärker als die Furcht, die drohenden Konsequenzen zu tragen. Diese bleiben unausweichlich. Es folgen Inhaftierung und schließlich die Ermordung auf dem Schafott in Hamburg im Jahr 1943.

Der Leser taucht ein in das Seelenleben der vier Hauptpersonen. Im Zentrum der Erzählung steht die Gedankenwelt der treibenden Kraft unter den Geistlichen, dem katholischen Kaplan Johannes Prassek. Der Text ist stellenweise nicht leicht zu bändigen. Soviel Beschwernis und so wenig Hoffnung. Doch aus der Hoffnungslosigkeit tritt der tiefe Glaube der Märtyrer um so klarer hervor. Für jemanden, der im Glauben nicht gefestigt ist, ein wie gesagt herausforderndes Buch. Geschrieben von einer Autorin, die sich Ihrer Sache sicher ist. In Ihrer Kunst und Ihrem Glauben.

Christian Brenneisen