Die Schriftstellerin Anna Gmeyner (1902 - 1991) war die Mutter der weithin bekannten Autorin Eva Ibbotson. In einem Interview mit dem Deutschlandradio (2006) sagt Ibbotson: „Ja, ich bewunderte meine Mutter sehr. Sie war eine sehr talentierte Schriftstellerin, viel talentierter als ich es bin. […] Sie arbeitete in Berlin mit vielen angesehenen Menschen: Brecht, Piscator, Kurt Weill, sie schrieb Texte für Hans Eisler. Sie bewegte sich in den Kreisen der Weimarer Republik.“ Für G. W. Pabst schrieb sie Drehbücher. Nach einem Aufenthalt in Paris kehrte sie 1933 nicht nach Berlin zurück. Ihre Bücher wurden verboten. Im Exil in England schrieb sie den Roman „Manja“, der 1938 im Querido Verlag in Amsterdam erscheinen konnte. Erst 1984 wurde er im Persona Verlag wieder aufgelegt.
Der Roman dreht sich um fünf Kinder und ihre Familien, von der Zeugung der Kinder bis zum schrecklichen Ende der Freundschaft der vier Jungen und des Mädchens Manja im Jahr 1934. Die Familien bilden ein Panorama der Gesellschaft: Es gibt die Proletarierfamilie mit dem arbeitslosen Vater, der sich den Kommunisten angeschlossen hat und verfolgt wird. Daneben eine Familie im kleinbürgerlichen Milieu, aus dem der Vater nach der Machtergreifung zum gefürchteten Nazifunktionär aufsteigt. Weiter die bettelarme jüdische Familie aus Polen – fast ganz ohne Vater, der sich, glücklos bei seinen kleinen Geschäften, früh aus dem Staub macht. Reich ist nur der überangepasste jüdische Bankier, dessen unglückliche Frau allerdings dem Wahnsinn verfallen ist. Aus der intellektuellen Mittelschicht gibt es die Familie eines Arztes, die den politischen Entwicklungen trotzen will. Alle Frauen und Kinder sind gesellschaftlich determiniert durch die Männer in der Familie, aber im Roman sind sie nicht zur Staffage bestimmt.
Es ist ein schönes und schreckliches Buch über eine Kinderfreundschaft, die dem Aufstieg der Nazis nicht standhalten kann. Gmeyner schreibt Szenen wie aus einem Film, beispielsweise über eine Versammlung von antisemitischen Möchtegern-Verschwörern in dem verrauchten Hinterzimmer einer Kneipe oder über Szenen im Unterricht der Kinder: Leibesvisitation wegen eines Taschendiebstahls, die beiden jüdischen Mädchen in der Judenbank selbstverständlich verdächtig, oder über ein Gespräch zwischen dem Arzt und dem schnell angepassten Klassenvorstand seines Sohnes. Vieles erinnert an Feuchtwanger.
Im Mittelpunkt stehen aber die Kinder und ihre Freundschaft. Gmeyner malt die Szenen an der Mauer, an der sie sich immer treffen, in lyrischen Bildern, die expressionistisch anmuten.
Schwer verdauliche Kost, aber wunderschön erzählt. Da macht es auch nichts, wenn die eine oder andere Nebenfigur recht klischeehaft daherkommt und Manja selbst ein bisschen zu gut und weise ist.