Cover des Buches Schneerot (ISBN: B00VZ2YGH0)
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Rezension zu Schneerot von Anna Hauer

Warum ich immer nur die Schwulen liebe

von MoWilliams vor 8 Jahren

Kurzmeinung: hat mich sehr mitgenommen und der Schreibstil ist einfach genial!

Rezension

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MoWilliamsvor 8 Jahren
„Stell dir vor, es ist Krieg. Du wohnst in einem Land, das wegen seiner geringen Anzahl von Soldaten nicht teilnimmt. Trotzdem versuchen die Oberhäupter dieses Blutbad zu stoppen und schicken die älteren Zivilisten in das Kriegsgebiet. Entweder um den vielen Verwundeten zu helfen oder um die Drahtzieher, die diesen Krieg angefangen haben, aufzuspüren und zu eliminieren. Denn jeder muss seinen Beitrag leisten. Auch du. Nur auf andere Weise, als du dir vielleicht vorstellen kannst. Was würdest du sagen, wenn du deine Freiheit als Tribut für den Frieden eintauschen müsstest? Wenn diese Gefangenschaft Schmerz und Isolation bedeutet? Wenn du frei wärst, du aber wüsstest, dass dich der Krieg das Leben kosten könnte? Dass du bald tot sein könntest? Nun entscheide dich. Wenn du die Wahl hättest, würdest du Freiheit oder Frieden wählen?“ – Cameron (Hauer, Anna: Schneerot. In Zusammenarbeit mit Der Dritte Raum. 2015, S.52-53.)

Die junge Crys weiß, dass ihr Tod kein großer Verlust für die Menschheit wäre. Wahrscheinlich sogar noch ein Gewinn. Mit circa hundert anderen Jugendlichen sitzt sie in einer abgeschiedenen Anstalt in England fest. Es herrscht Krieg und das Militär testet Chemikalien, die verschiedene Fähigkeiten (oder auch Gaben genannt) in Jugendlichen auslösen. Sei es Gedanken lesen, in die Zukunft sehen, Telepathie, Stärke oder gar Unverwundbarkeit.
Nicht jeder Jugendliche eignet sich dazu – und genau das herauszufinden, ist Crys Aufgabe: Eignen sie sich oder nicht? Durch ihre einst injizierte Droge kann sie nicht nur erkennen, ob ein geeigneter Kandidat vor ihr steht, sondern auch, welche Chemikalie zu ihm passt.
Passt keine zu ihm, dann wars das.
Überlebt er die Nebenwirkungen der Chemikalie nicht, dann wars das.
Deswegen wird Crystal auch die Henkerin genannt.
Getrennt von den anderen wütenden Jugendlichen, welche Crys die Schuld für ihre neuen Fähigkeiten und das Festsitzen im Militär geben, sitzt sie in einer eigenen Abteilung mit drei weiteren Opfern – welche auch besondere, nützliche Fähigkeiten (mehr, als nur eine) aufweisen.

Crys hat versucht, sich gegen das Militär zu wehren und keine Entscheidungen zu treffen – doch das führte zu nichts. Immerhin würden die Soldaten sie für ihre Fähigkeiten nie töten – zu kostbar – und selbst wenn, dann würde das wieder tausend Opfer mehr bedeuten, da niemand weiß, welche Chemikalie zu wem passen könnte. Wenn überhaupt. Nach einer frischen Rebellion von Crys ist sie dazu gezwungen, nachzugeben und einen weiteren Jungen durch die Glaswand zu beobachten. Der Junge heißt Cameron und Crys teilt ihm eine Droge zu, die noch nie jemand überlebt hat. Unverwundbarkeit. Cam zeigt sich nicht nur rebellisch hinter der Wand, nein, er macht klar, dass er seine Freiheit auf eine Art beherrscht, die niemand brechen können wird. Dieses Wiedersetzen von Cam, dass sein Geist etwas ist, das nie jemand brechen könnte, weil es in seiner Hand liegt, scheint Crys neugierig zu machen. Sie will wissen, ob Cam die Droge überstanden hat und beginnt damit, in die Mensa essen zu gehen. Auf die Gefahr hin, dass Gedankenleser herausfinden, wer sie wirklich ist.

Sie findet ihn. Er hat die Injektion überstanden – und nicht nur das.
Ohne, dass Cam weiß, wer Crys wirklich ist, weiht er sie in einen Plan ein, der das Leben aller Jugendlichen in der Anstalt verändern wird. Der Plan, der als ersten wichtigen Punkt mit sich bringt, die Henkerin zu töten.
Wo soll ich anfangen? Das frage ich mich vermutlich, seitdem ich das Buch gelesen habe. Es ist wirklich nicht einfach, auf den Punkt zu bringen, wie sehr ich von diesem Roman angetan und beeindruckt war.
Sie schaffen den Ausbruch, jedoch stirbt sicher die Hälfte der Jugendliche dabei. Der Ausbruch war – glaube ich – nie wirklich DAS Problem. Schlimm wird die Flucht. Grausam wird das Erlebnis in einem endlosen Wald. Dramatisch wird die Kälte, weil sie im Winter ausbrechen. Trotz der Härte und dem möglichen Gedanken, dass die jetzt seitenlang durch den Wald laufen, um an ihr Ziel zu kommen, kann ich sagen, dass es mir nie langweilig wurde. Wenn die Charaktere gerade nicht für furchtbar viel Sarkasmus, Charme und Witz sorgen, dann meistens nur, weil sie von wilden Tieren oder den nachkommenden Soldaten angegriffen werden. Meine Faszination lag darin, Hochspannung, ernste Gefühle und philosophische Fragen miteinander verbinden zu können, ohne den roten Faden zu verlieren. Schneerot ist nicht umsonst eines meiner Bücher von 2015:

Ich möchte dieses Buch nicht mit anderen Geschichten vergleichen, weil ich auch nicht gerne mit anderen Menschen verglichen werde. Genauso wenig wie den fabelhaften Schreibstil oder die Autorin selbst. Aber „Schneerot“ ist eines meiner Bücher 2015, weil es relevante Werte vertritt, gleichzeitig eine andere Geschichte erzählt und zusätzlich von Ideen und Ausdrucksweisen explodiert, die einzigartig sind.
Vermutlich wird das eine meiner Standardbeschreibungen, aber dieses Buch ist so vielSEITIG wie die Menschen selbst. Angefangen mit dieser zerbrechlichen Liebesgeschichte, die ich in meinem Kopf immer mit einem Kolibri assoziiere, der geschmackvolle Sarkasmus, Zynismus und eine sehr sympathische (meist blauhaarige) Ironie, bis hin zur Philosophie, die einem das Denken von „Falsch“ und „Richtig“ sehr schwermachen. Und ich meine, nicht zu vergessen – ihn nicht zu erwähnen wäre ein Vergehen an alle Musikliebhaber – der blauhaarige, schwule Rockstar. Ich schwöre, ich würde sehr viel dafür geben, wenn er NICHT schwul wäre – aber das macht ihn (leider) nun mal irgendwie aus. Und da gibt es ja noch diese anderen ganz heißen Jungs – bevor ich vom Thema abkomme: Dieses Buch gehört gelesen. Um gebildet zu werden und (NATÜRLICH) allein wegen dem schwulen Rockstar.

Die Autorin Anna Hauer war 16 Jahre alt, als sie damit begann, Schneerot zu schreiben und veröffentlichte den Roman schließlich mit 20 Jahren. Es ist ihr erster Roman und ich glaube daran, dass vor allem die ersten Romane von Autoren noch mehr geschätzt werden sollten als der Rest. Vielleicht, weil man da noch jung und revolutionär ist und nicht schon so viel Abscheu, Druck und möglicherweise eine ganz andere Weltsicht in sich hat. Weil man noch eher ein wilder Sturm-und-Dränger, als ein gehobener Klassiker ist. Ich kann euch nur raten, auf so etwas zu achten, zwischen dem ersten und dem letzten Werk liegen meistens Welten. Deswegen bin ich auch schon sehr gespannt, wie sich die Geschichten von Hauer weiterentwickeln und was sie noch mit sich bringen werden. Ihr Schreibstil ist flüssig, individuell und hat echtes Suchtpotenzial. Was ich ebenfalls nicht oft genug loben kann, ist die Recherchearbeit, die die Autorin geleistet hat, wofür ich sie sehr bewundere. England bekommt eine sehr, sehr kalte und einsame Ausstrahlung verliehen, passend zu einem Weltkrieg.
Den Charakteren von Schneerot bin ich sehr verfallen und sie sind mir sehr ans Herz gewachsen, obwohl sie alle so unterschiedlich sind wie Schneeflocken, was durch die verschiedenen Sichtweisen stark verdeutlicht wird. Jeder Charakter hat seine eigene Stimme, beinahe eine eigene Art des Schreibstils. Eine Abwandlung, die dafür reicht, die Charaktere differenzieren zu können. Verschiedene Sprachen bei verschiedenen Menschen zu verwenden ist oft nicht gerade leicht, da viele dazu neigen, sie am Ende zu verwischen oder gar nicht erst zu trennen. Wobei ich bei Schneerot eher das Gefühl hatte, dass sie sich vor allem am Ende noch mehr spalten und unterscheiden.
Eine besondere Vorliebe habe ich für Neptune entwickelt. Ja, er ist schwul, hat blaue Haare und ist ein Rockstar. Mein Herz schlägt einfach für Schwule, denn bei Magnus Bane von Cassandra Clare erging es mir ähnlich. (Ja, jetzt krieg ich die Vorstellung von Magnus Bane und Neptune nicht mehr aus meinem Kopf, ich meine, kein Raum der Welt – vermutlich nicht einmal die Welt selbst – wäre groß genug für das Ego der beiden) Jedoch glaube ich, dass meine Faszination/Vorliebe weniger mit der Homosexualität zu tun hat, als wie viel mehr mit dem selbstbewussten, zu sich selbst stehenden Charakter. Neptune ist mein Held, weil er einen Keks auf die Meinung anderer gibt (eher einen Mittelfinger oder einen zynischen Kommentar, die Kekse isst er vermutlich selbst). Ich bewundere ihn wirklich sehr.

Da ich eine sehr ehrliche Person bin, möchte ich euch die wenigen Kanten, die noch geschliffen werden könnten, nicht verwehren. Einer der kleinen Nebencharaktere muss zweimal dran glauben – was einen eher zweimal das Herz bricht, als dass es einen ärgert. Selten schleichen sich kleine Rechtschreibfehlerchen und ein oder zwei grammatische Fehlerchen ein – but who cares (außer der werdenden Deutschlehrerin). Und seien wir uns mal ehrlich, die meisten Autoren, die bei einem Verlag unterworfen worden … eh … eingestellt sind, wären ohne ihren Lektoren vermutlich echt am Ende (siehe die eigene Geschichte zwischen Thomas Bernhard und Komma setzen – nichts gegen Thomas Bernhard, ich bin wahnsinnig von ihm angetan und fühle mich noch besser, wenn ich weiß, dass es großartige Autoren gibt, die nicht perfekt in Deutsch sind, was mich selbst sehr in meinem Tun bekräftigt).
Wie ihr wahrscheinlich bemerkt habt, habe ich die Fehler zwar aufgezählt, aber zugleich verteidigt, was sich für eine objektive Meinung vermutlich nicht gehört. Aber verliebt ist nun mal verliebt, beeindruckt ist beeindruckt und es sind einfach keine Gründe, um auf diesen Roman zu verzichten.

In diesem Buch ist für jeden etwas enthalten. Sei es der Science-Fiction-Roman mit einer negativen Vorstellung der Zukunft, eine zärtliche Liebesgeschichte, schwarzer Humor, Ironie, Sarkasmus, Zynismus oder die philosophische Seite und das Beeinflussen der Gedanken eines Lesers über „Falsch“ und „Richtig“ - oder einfach ein blauhaariger, schwuler Rockstar, der alle mit seinem Selbstbewusstsein noch in den Wahnsinn treiben wird.

Das Buch gehört gelesen. Allein wegen dem schwulen Rockstar.
Ja, ich kann nicht oft genug betonen, wie grandios Neptune ist. Ehrlich jetzt – allein wegen ihm zahlt sich der Roman aus!
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