Rezension zu "Aus und davon" von Anna Katharina Hahn
Die Familie in all ihren Ausprägungen ist Anna Katharina Hahns liebster Forschungsgegenstand, und besonders durchleuchtet sie die schwäbische Familie. Sie beobachtet und beschreibt genau und legt damit verborgene Muster offen, die sich oft unbemerkt wiederholen. Jede der vier beschriebenen Frauen - von der Urgroßmutter bis zur Enkelin - istmit neuen Situationen konfrontiert, in denen sie sich unterschiedlich gut zurechtfinden. Cornelia braucht eine Auszeit vom Alltagsleben als Alleinerziehende und fährt in die USA, um den Teil der Familie zu suchen, bei dem die Mutter ihrer Mutter zu Zeiten der Wirtschaftskrise eine Weile gearbeitet hat. Ihre Mutter, soeben von ihrem langjährigen Ehemann verlassen, kümmert sich derweil um ihre Kinder Stella und Bruno, doch das klappt nicht ganz so gut wie erhofft. Stella verliebt sich das erste Mal und muss feststellen, dass die Liebe nicht immer bleibt, Bruno dagegen wird wegen seines Übergewichts gehänselt und will nicht mehr zur Schule gehen. Der schwäbische Pietismus, dessen Auswirkungen sich durch den Roman ziehen und denen kaum eine der Frauen wirklich entkommen kann, spielt eine wichtige Rolle und bestimmt auch den Blick auf den dicken Bruno. Essen ist notwendig, auf seine Zubereitung wird viel Zeit verwendet, doch weder kochen noch essen wird hier mit Lust verbunden. Auch Bruno isst nur, um sich vollzustopfen und nichts mehr zu spüren, und genauso ging es auch seiner Urgroßmutter in Amerika, die gegen die Einsamkeit an aß (und von deren Erlebnissen uns ihre Stoffpuppe namens Linsenmaier berichtet, die in der Gegenwart von Bruno wiederentdeckt wird). Anna Katharina Hahn schreibt großartige Familiengeschichten und seziert die Zusammenhänge mit scharfem Blick, aber beim Thema Essen und Übergewicht scheint auch sie sich nicht vom schwäbischen Pietismus lösen zu können. Aber möglicherweise empfinde das nur ich so? Trotzdem habe ich diesen Roman sehr gern gelesen und mochte sowohl seine verschiedenen Ebenen als auch die Tatsache, dass er eine Momentaufnahme mit offenem Ende darstellt. Alles ist möglich, aber der Familie entkommt man nicht!