Rezension zu "Elizabeth's Bedfellows: An Intimate History of the Queen's Court" von Anna Whitelock
Andreas_OberenderKönigin Elisabeth I. von England (1533-1603) gehört zu jenen Monarchen der europäischen Geschichte, deren Leben und Herrschaft seit langem bestens erforscht ist. Mit Büchern über Elisabeth kann man mühelos eine kleine Bibliothek füllen. Wer der Elisabeth-Literatur heutzutage einen weiteren Band hinzufügt, der hat es schwer, etwas Neues und Originelles zu sagen. Die britische Historikerin Anna Whitelock hat sich von diesem Umstand nicht abschrecken lassen. Ihr Buch ist im Kern eine konventionelle Elisabeth-Biographie. Whitelock rückt jedoch einige Aspekte und Themen in den Vordergrund, die in vielen anderen Büchern über die Königin gar nicht oder nur beiläufig behandelt werden. Gerade in der wissenschaftlichen Literatur ist die Tendenz zu beobachten, Elisabeth auf die Rolle der Politikerin zu reduzieren. Whitelock richtet ihren Blick hingegen auf die Frau Elisabeth, auf das Alltags- und Privatleben, die Sexualität und Gesundheit der Königin. Ausgangspunkt des Buches ist das bekannte Konzept von den "zwei Körpern des Königs". In der politischen Theorie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit symbolisierte der sterbliche Leib des Monarchen den unsterblichen Staat. Gesundheit, Unversehrtheit, Sexualität und Fruchtbarkeit eines Herrschers – oder einer Herrscherin – galten als Faktoren, die Einfluss auf die Stabilität des Staatswesens hatten. Auch bei Königin Elisabeth war das Private politisch. Wenn sie nicht an höfischen Veranstaltungen teilnahm oder durchs Land reiste, verbrachte Elisabeth einen Großteil ihrer Zeit in den Privatgemächern ihrer Residenzen. Männer hatten dort keinen Zutritt. Im Alltag war Elisabeth von ihren Hofdamen umgeben. Der weibliche Mikrokosmos im engsten Umfeld der Königin wird in den meisten Elisabeth-Biographien nicht thematisiert. Dabei spielten die Hofdamen, wie Whitelock betont, in Elisabeths Leben eine ähnlich bedeutende Rolle wie Minister, Ratgeber und Favoriten. Die Hofdamen standen zum Teil jahrzehntelang in Elisabeths Diensten. Sie waren Vertraute und Freundinnen, wenn nicht gar eine Art Familienersatz. Sie leisteten der Königin Gesellschaft und gingen ihr bei den praktischen Verrichtungen des Alltags zur Hand. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Elisabeth beim An- und Auskleiden sowie bei der Körperpflege zu helfen. Abgesehen von Ärzten waren die Hofdamen die einzigen Menschen, die den Körper der Königin berühren durften. Nachts schlief stets eine der Hofdamen im Gemach der Königin. Mit ihrer bloßen Anwesenheit bei Tag und bei Nacht boten die Hofdamen einen gewissen Schutz vor dem Verdacht, Elisabeth führe ein unsittliches Leben. So lange die Heiratsfrage auf der Tagesordnung stand, also vornehmlich in den 1560er Jahren, musste Elisabeth daran gelegen sein, als ehrbare und keusche Frau wahrgenommen zu werden. Wie Whitelock an mehreren Beispielen zeigt, erkundigten sich ausländische Diplomaten bei den Hofdamen diskret nach dem Lebenswandel der Königin.
Gerüchte und Spekulationen über Elisabeths Privat- und Liebesleben ließen sich allerdings nicht verhindern. Unterstellungen, die Königin führe ein ausschweifendes Sexualleben und habe heimlich mehrere Kinder zur Welt gebracht, waren eine beliebte Waffe von Elisabeths Kritikern und Gegnern im In- und Ausland. All die (Männer-)Phantasien über Elisabeths sexuelle Freizügigkeit und Unersättlichkeit hatten mit der Realität nichts zu tun. Ähnlich wie andere Autoren sieht Whitelock keine Belege für sexuelle Beziehungen zwischen Elisabeth und ihren Favoriten. Die ab den 1580er Jahren im öffentlichen Diskurs positiv hervorgehobene Jungfräulichkeit der Königin war keine Fiktion. Neben der Sexualität hatte auch ein anderer privater bzw. intimer Aspekt eine hohe politische Bedeutung, die Gesundheit der Königin. Elisabeth wurde zwar 70 Jahre alt, aber sie hatte zeitlebens wiederholt mit ernsteren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Als sie im Herbst 1562 an den Pocken erkrankte, verfielen ihre Minister in Panik, denn wer sollte der Königin, die keine Kinder oder Geschwister hatte, im Ernstfall auf dem Thron folgen? Da sich Elisabeth nicht zur Heirat entschließen konnte, kinderlos blieb und die Benennung eines Nachfolgers jahrzehntelang hartnäckig aufschob, weckte jede schwere Krankheit Furcht vor einer innenpolitischen Krise. Eine Krise drohte auch für den Fall, sollte es einem Attentäter gelingen, die Königin zu verletzen oder gar zu töten. Da es immer wieder zu Komplotten und Verschwörungen kam, mussten die Maßnahmen zum Schutz der Königin ständig überprüft und verbessert werden. Die Furcht vor Anschlägen auf Elisabeth nahm hysterische Züge an und führte zu einer schrittweisen Verschärfung der repressiven Politik gegenüber Katholiken und anderen Dissidenten. Ein probates Mittel zur Stabilisierung der innenpolitischen Lage war die Manipulation des öffentlichen Bildes der Königin. Schon lange bevor sie eine alte Frau war, hatte Elisabeth kein Interesse an realistischen Porträts. Bildnisse der Königin zeigen eine seltsam alterslose Frau, eine Ikone ohne individuelle Züge. Nicht nur auf ihren Porträts, sondern auch im Alltag trug Elisabeth eine Maske: Je mehr sie in die Jahre kam, desto dicker wurde die Schminkschicht, unter der sie die Spuren des Alters verbarg. Es war eine der wichtigsten Aufgaben der Hofdamen, die nötigen Kosmetika zuzubereiten und die Königin sorgfältig zu schminken. All diese Versuche, Alterserscheinungen zu kaschieren, waren Teil des Bestrebens, die Klärung der leidigen Nachfolgefrage zu umgehen. Elisabeth war überzeugt: Würde sie ihren Nachfolger "zu früh" bestimmen, dann wären ihre Tage als Königin gezählt. Ein Bischof, der es 1596 wagte, in einer Predigt das vorgerückte Alter der Monarchin anzusprechen, wurde von Elisabeth scharf gemaßregelt (Kap. 51).
Anna Whitelock hat die Körperlichkeit und Weiblichkeit der Königin in den Mittelpunkt ihrer Erzählung gerückt. Elisabeth war keine Privatperson. Alles, was mit ihrem Körper und ihrem Geschlecht zusammenhing, war politisch bedeutsam. Whitelock lenkt den Blick auf einige Aspekte, die in vielen anderen Biographien zu kurz kommen. Allerdings ist die Erörterung dieser Aspekte eingebettet in eine chronologisch angelegte Erzählung, in der (zu) viele sattsam bekannte Ereignisse und Begebenheiten aus Elisabeths Leben und Regierungszeit behandelt werden. Gerade für Kenner der Materie ist es ermüdend, die schon dutzendfach erzählten Geschichten über Elisabeths Heiratsprojekte ein weiteres Mal lesen zu müssen. Allerdings ist das Buch wunderbar geschrieben. Anna Whitelock ist eines der größten Talente unter den jüngeren britischen Historikern, die für ein Publikum historisch interessierter Laien schreiben. Auf Whitelocks künftige Bücher darf man sich schon jetzt freuen.
(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Februar 2017 bei Amazon gepostet)