Anna und Elena Balbusso

Lebenslauf

Anna und Elena Balbusso, italienische Zwillingsschwestern, haben über 50 Bücher illustriert und wurden mehrfach ausgezeichnet. Ihre Arbeiten wurden von internationalen Verlagen veröffentlicht, darunter The Economist, The New Yorker und The New York Times. Für Reclam illustrierten sie zuletzt »Das Bildnis des Dorian Gray« von Oscar Wilde.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Anna und Elena Balbusso

Neue Rezensionen zu Anna und Elena Balbusso

Schauriger Klassiker

Nachts kommt die Angst, begleitet von einem unglaublichen Druck auf die Brust, der das Atmen erschwert und auch am Tag manifestiert sich immer stärker ein Gefühl beobachtet und verfolgt zu werden. 

Der namenlose Ich-Erzähler in diesem Gruselklassiker von Guy De Maupassant beschreibt in einer Art Tagebuch, wie immer mehr eine unerklärliche Angst von ihm Besitz ergreift, wie er nachts nicht mehr zur Ruhe kommt und auch am Tag das Gefühl nicht abschütteln kann, dass da etwas bei ihm ist, etwas das ihn belauert, beobachtet, ihm die Luft zum Atmen nimmt. Zuerst glaubt er an eine Überreiztheit der Nerven, findet kurze Besserung durch einen Ortswechsel, aber zurück zu Hause verschlechtert sich der Zustand zusehens. Der sichtlich verängstigte Erzähler sucht nach Erklärungen für die mysteriösen Erscheinungen von denen er Zeuge wird und findet sie letztlich auch. Der Horla, ein unsichtbares Wesen, das den Geist seiner Opfer befällt.

Das Buch schlummerte schon ein Jahr auf meinem SUB und zu Halloween dachte ich mir, es wäre an der Zeit es endlich zu lesen. Ich habe den Autor in meiner Jugend entdeckt, bin aber mit seinem Roman "Ein Leben" damals nicht warm geworden und habe es abgebrochen. Auch bei "Der Horla" hatte ich stellenweise Probleme mit der Sprache des Künstlers und fand es etwas schwer zu lesen. Ob das am Alter des Textes liegt, oder an der Übersetzung kann ich nicht sagen, wobei ich es wohl am ehesten auf das Alter schieben würde. Die Erzählung an sich erinnert ein wenig an Edgar Allen Poe und enthält typisch klassische Gruselelemente. Die Ängste, die der anonyme Erzähler beschreibt, seine Empfindungen und Gedankengänge sind gut dargestellt, von Seite zu Seite wird die stetig steigende nervliche Anspannung spürbar. Der Leser wird Zeuge seiner inneren Zerrissenheit und ebenso seiner aufkeimenden Hoffnung, immer im Ungewissen, ob es eine Rettung geben wird. 

Optisch ist diese Sonderausgabe aus dem Reclamverlag ein absolutes Highlight. Die aufwändige Gestaltung des Hardcovers ist schon ohne den Schutzumschlag ein Hingucker, die Illustrationen der Zwillingsschwestern Anna und Elena Balbusso sind ungewöhnlich, virtuos und absolut passend zur Geschichte. Ein Lesebändchen rundet den Gesamteindruck ab. Das Buch bietet sich förmlich als Geschenk für Fans klassischer Gruselgeschichten an und ist eine Zierde für jedes Bücherregal.




Wahnsinn im Prachtkleid

"Wie schön es heute war!" Kann man einem Buch, noch dazu einer klassischen Schauergeschichte wirklich trauen, wenn sie so beginnt? Natürlich nicht! Und so überrascht es nicht, dass auch "Der Horla" von Guy de Maupassant (1850 - 1893) sich nicht auf die Schönheit dieses ersten Satzes verlässt, sondern die Leserschaft Stück für Stück und anfangs beinahe unmerklich in den Wahnsinn seines namenlosen Ich-Erzählers hineinzieht und sie bis zum drastischen Finale auch nicht mehr loslassen wird. Unverkennbar schön sind allerdings die Illustrationen der italienischen Zwillingsschwestern Anna und Elena Balbusso, die diese Ausgabe zu einem bibliophilen Augenschmaus machen. Oder kurz gesagt zum Wahnsinn im Prachtkleid.

Erschienen ist die Schmuckausgabe des Horla in der deutschen Übersetzung von Ernst Sander kürzlich bei Reclam. Für den Verlag ist es nach dem ebenfalls herausragend anzusehenden "Das Bildnis des Dorian Gray" von Oscar Wilde bereits die zweite Zusammenarbeit mit den Mailänder Künstlerinnen. Es bleibt zu wünschen, dass es nicht die letzte sein wird. Denn abermals machen die Balbusso-Zwillinge mit ihrem unverwechselbaren Stil aus der Lektüre ein Erlebnis. Besonders gut gelingt es ihnen, den geistigen Verfall des Protagonisten, seine Ängste und Depressionen darzustellen. Anders als bei Dorian Gray ist das Grauen bei de Maupassant nämlich eindeutig intrinsich motiviert. Da sehen wir den Protagonisten in dunkler Kleidung gesenkten Hauptes an einem düsteren See vorbeischleichen, während ein trauriges Frauengesicht am Himmel zweifelnd auf ihn herabblickt. In einem späteren Zustand seines Wahnsinns wirkt er wie in einer Zwangsjacke an einen Stuhl gefesselt. Hervorragend auch der von Augen durchsetzte lila Schmetterling, der gar an das Cover eines Psychedelic Rock-Albums aus den 1970er-Jahren erinnert. Mit immenser Kreativität und unglaublicher Vielfalt werten die Illustrationen der Balbussos das Buch auf.

Dabei ist die kurze Erzählung Maupassants, die erstmals 1886 erschien, auch für sich stehend stark genug. In Tagebucheinträgen vom 8. Mai bis zum 10. September begleiten wir den Ich-Erzähler auf dessen körperlichem und geistigem Niedergang. Ständig hat er das Gefühl, dass eine unsichtbare Kraft sich seiner bemächtigt. Ein dämonisches Wesen, genannt der Horla, der sich nachts auf seine Brust hockt und dem Protagonisten nach und nach Antrieb und Willen raubt. Sprachlich gelingt es de Maupassant vortrefflich, dieses Grauen erlebbar zu machen. Auslassungen, Wiederholungen, Ausrufe und Fragen machen das gestörte Verhältnis der Hauptfigur zu sich selbst und seiner Umwelt deutlich. Bedenkt man, dass der französische Autor selbst an Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Ängsten litt, unterstreicht dies noch einmal die Tragik und Ernsthaftigkeit der gerade einmal knapp 80 Seiten umfassenden Novelle. 

Mit der neuen Schmuckausgabe von Guy de Maupassants "Der Horla" gelingt es Reclam vor allem dank der großartigen Illustrationen von Anna und Elena Balbusso einmal mehr, einen Klassiker der Weltliteratur in ansprechendem und bibliophilem Gewand wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Abgerundet wird die stimmige Ausgabe von einem informativen Nachwort des Übersetzers Ernst Sander (1898 - 1976).

Eine phantastische Geschichte in Kombination mit beinah surrealen Illustrationen…!

Wie eng ist der Grat zwischen Genie und Wahnsinn? Wie schmal ist die Grenze zwischen mentaler Gesundheit und geistiger Verwirrung? Wie durchlässig sind die Übergänge unserer Psyche zu Phantasie und Wahrheit? Eben war der Held dieser Erzählung noch ein gesunder, dem Leben zugewandter Mann, nur einen Augenblick später zweifelt er am Zustand seines Geistes.

Guy de Maupassant wurde zu Lebzeiten von den vermeintlichen Literaturkennern eher belächelt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galten die ausschweifenden Romane von Gustave Flaubert, Honoré de Balzac oder Stendhal als das Nonplusultra der französischen Literatur. So kleine, niedliche Erzählungen, die für jedermann leicht zugänglich waren, wurden da eher gering geschätzt. Erst viel später sollte Maupassant die ihm zustehende Anerkennung für seine Impulse auf die französische Literatur erhalten.

„Der Horla“ ist eine der wenigen phantastischen Geschichten aus seiner Feder und spiegelt sein Interesse an der Beinflussbarkeit der menschlichen Psyche wider. So soll er selbst wiederholt an Halluzinationen und Wahnvorstellungen gelitten haben. Umso erstaunlicher, wie klar und differenziert er den mentalen Verfall des Protagonisten beschreibt. In Tagebuchform lässt er uns am Leid seines Helden teilhaben. In Wellen verschlechtert sich dessen Zustand, was der Autor auch mit einer Veränderung im Schreibstil erkennen lässt. In den entspannten Phasen berichtet der Held ausschweifend und in blumigen Sätzen von seinem Leben, während bei den psychotischen Schüben eine Stakkato-artige Sprache den stätigen geistigen Verfall kennzeichnet.

Anfangs hatte ich eher ein Schauermärchen à la Edgar Allan Poe erwartet und war umso erstaunter über die beinah analytische Herangehensweise des Autors an diesem Thema. Maupassant versteht es brillant, die Spannung in dieser Novelle aus der inneren Zerrissenheit des Protagonisten und seinem Gefühl einer ständigen Gehetztheit zu entwickeln. Dieser versucht anfangs noch, rationale Erklärungen für seine irrationale Wahrnehmung zu finden, um dann mehr und mehr von seiner Autonomie als eigenständige Persönlichkeit zu verlieren. Je mehr sich die Sinne verwirrten und die Seelenpein zunahm, umso mehr steigerte sich die Handlung zum beinah unumgänglichen Finale.

Für diese illustrierte Fassung der Novelle konnte der Reclam-Verlag wieder auf die Kunstwerke von Anna und Elena Balbusso zurückgreifen, die für die französischsprachige Ausgabe im Jahre 2010 erschaffen wurden. Wie schon bei "Das Bildnis des Dorian Gray" schufen die Balbusso-Zwillinge auch hier abermals ätherisch-phantastische Illustrationen. Die Darstellung von Gesichtern bzw. deren Mimik fiel diesmal detailreicher aus und zeigt so die Ängste der Figuren in aller Deutlichkeit. Mit ihrer ausgeprägten Bildsprache sprengen sie die Grenzen zwischen Realität und Surrealismus und erinnerten mich sowohl an die Schöpfungen eines Salvador Dalí als auch an die skurrile Ästhetik von Monty Python.

Neben seiner großartigen Übersetzung bereichert Ernst Sander diese Edition mit einem informativen Nachwort, in dem er Wissenswertes zum Autor preisgibt und das Werk im Zusammenhang zu dessen Lebenslauf einordnet.

Abermals ist es dem Reclam-Verlag gelungen, einen Klassiker der Weltliteratur in einem äußerst geschmackvollen und hochwertigen Erscheinungsbild zu präsentieren und so mein bibliophiles Herz zu erfreuen.

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