Was bleibt, wenn wir dem Tod ins Auge blicken? Annabel Wahbas Roman "Chamäleon" beschäftigt sich mit dem Moment, indem der Tod naht und alles andere verschwimmt, verklärt und nur das bleibt, was Geschichten zu erzählen vermag, die im Hier und Jetzt gelten, jedoch für die Zukunft bleiben. Denn diese Geschichten erklären das Erbe, das, was wir sind und zu sein scheinen.
Annabel ist zu ihrem Bruder gereist, der schwer erkrankt ist und für den es keine Heilung gibt. Sie begleitet ihn mit Geschichten der Vergangenheit, ihrer Vorfahren, die sowohl die Seite ihrer Mutter, von München bis nach New York und weiter, jedoch ebenso die Seite ihres Vaters. Eine Geschichte voller Gegensätze und Gemeinsamkeiten, Differenzen und Symbiosen.
Der Stil ist leicht, das Szenario schnell wechselnd und sehr dynamisch, die Handlung stellenweise etwas diffus. Der Start ist gar poetisch und verliert sich dann in einer Detailtreue der verschiedenen Szenarien und Epochen, dass die Geschichte mich stellenweise verloren hat. Die Protagonisten bleiben die Figuren der Vergangenheit und erscheinen emotional lebendiger als Annabel und ihr Bruder. Das hätte es meiner Meinung nach gar nicht gebraucht und so klafften Erwartungshaltung und Tatsachen recht früh auseinander. Der Grundtenor der Geschichte bleibt trotzdem interessant und hat mich mit Fragen begleitet, die ich mit in mein Hier und Jetzt genommen habe. Die Frage dessen, was bleibt, wenn wir sterben, wenn Generationen nach zwei weiteren bereits vergessen sind und wir trotzdem all das in uns tragen, die Tränen und das Leid, die Errungenschaften und Verdienste, die Liebe und den Tod. Das alles formt uns, gestaltet uns aus, ob wissentlich oder nicht, wir sind das Resultat all unserer Vorfahren mit Haut und Knochen.