Rezension zu "Die Tintenspinner" von Anne-Caroline Pandolfo
Der rote Oktopus und die schwarze Spinne begegnen sich. Außer ihrer acht Beine scheinen sie aber nichts gemeinsam zu haben. Etwas ratlos demonstrieren sie ihre Fähigkeiten. Der Oktopus spritzt mit Tinte, die Spinne webt einen Faden. Um seine Überlegenheit zu demonstrieren, zeigt der Oktopus, dass sein Tintenklecks viel größer ausfallen kann. Natürlich möchte die Spinne ihn übertrumpfen und zeigt ihre phänomenalen Fähigkeiten im Fadenweben. Sie steigern ihre Fähigkeiten von Seite zu Seite, nur um den anderen zu dominieren, bis ihnen nichts mehr einfällt. Schließlich stellen sie fest, dass sie eigentlich auf der gleichen Wellenlänge schweben. Zusammen ist es weniger anstrengend und eine gute Freundschaft viel harmonischer.
Dieses Buch kommt ganz ohne Worte aus. Es verbildlicht mit seinen beiden Protagonisten einen Satz, der im Kindergarten und in der Grundschule sehr häufig zu hören ist und auch im späteren Leben eine tragende Rolle spielt: „Ich kann das viel besser als du.“ Es ist aber viel harmonischer, wenn man andere nicht immer übertrumpfen will. Man sollte sein Umfeld und sein Gegenüber genau so tolerieren wie es ist. So entsteht eine Vielfalt ohne Neid und Dominanzspielchen. Mit dieser tollen Geschichte ist es möglich Kinder zum Nachdenken anzuregen, Diskussionen anzustoßen und sie für Toleranz zu sensibilisieren.
Geprägt wird natürlich jeder von seinem Umfeld. Es beginnt im Elternhaus, in dem das Auto größer sein muss, als das des Nachbarn, oder der Urlaub teurer als der vom Kollegen, und setzt sich in der Schule fort. Hier reicht kein einfaches Handy, sondern es muss die neueste, teuerste Version vom Markenhersteller sein. Schließlich macht es auch vor den Zimmern der Kleinsten nicht halt, und führt zu Überlegenheitsdemonstrationen im Kindergarten. Natürlich könnte man die Betrachtung auch global ausweiten und die Länder- bzw. Rüstungspolitik mit einschließen. In Vorbereitung auf die BLF Prüfungen der zehnten Klasse, haben wir dieses Buch als Basis für einen Aufsatz über Toleranz genutzt. Die Interpretationen der Schüler waren sehr philosophisch und tiefschürfend. Generell eignet sich dieses tolle Werk für alle Altersstufen. Es ergeben sich auch mit Kindergartenkindern sehr interessante Diskussionen.
Fast bis zum Ende sind die Illustrationen im Buch zweigeteilt, obwohl jede Doppelseite eine Szene darstellt. Der rote Oktopus agiert jeweils auf der linken Bildseite, während die schwarze Spinne rechts in Szene gesetzt wird. Beide Protagonisten schweben vor einem weißen Hintergrund. Keine zusätzlichen Eindrücke lenken von der übermittelten Botschaft ab. Die originellen Charaktere wurden aus einer Mischung von Tinte, Bleistift und Computerbearbeitung zu Papier gebracht.
Das Buch ist fantasievoll, originell und einfallsreich. Es eignet sich für zu Hause oder als Geschenk, ebenso wie für die Arbeit mit Kindern in Kindergarten oder Schule.
Wiederholungen machen es nicht langweiliger, sondern unterhaltsamer.