Cover des Buches Sauberer Abgang (ISBN: 9783888974243)
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Rezension zu Sauberer Abgang von Anne Chaplet

Rezension zu "Sauberer Abgang" von Anne Chaplet

von WinfriedStanzick vor 12 Jahren

Rezension

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WinfriedStanzickvor 12 Jahren
Anne Chaplet, der Aliasname der Frankfurter Autorin Cora Stephan ist mittlerweile aus der Reihe engagierter deutscher Krimiserien nicht mehr wegzudenken. Man muß ihre bislang erschienenen fünf Bücher um die Frankfurter Staatsanwältin Karin Stark und den ausgestiegenen Journalisten Paul Bremer in einer Reihe nennen mit den Büchern von Ulrich Ritzel, Jacques Berndorf oder auch dem Baseler Hansjörg Schneider. Anne Chaplet schreibt engagiert und witzig, sie nutzt den Kriminalroman, um gesellschaftliche Zustände zu beschreiben, ohne missionarisch zu werden wie etwa Henning Mankell in seinem neuesten Buch, und ist mit ihren Hauptfiguren oftmals sehr erstaunt darüber, was geworden ist aus einem Land, das eine Generation kritischer Politiker und Intellektueller, zu denen auch Cora Stephan immer noch zählt, doch verändern, zumindest aber reformieren wollte. Und aus ihren Hauptfiguren sprudelt auch immer wieder das Erstaunen darüber, was aus ihnen selbst geworden ist. „Was wir wollten, was wir wurden“, hatte Peter Mosler Ende der achtziger Jahre einen rororo-Band betitelt, der die Illusionen der 68- er Bewegung beschrieb. In Anne Chaplets Romanen wird ein Land beschrieben, ein „ großer Scherbenhaufen, den die Jahre der Verleugnung unter Helmut Kohl und die sieben Jahre Pfusch unter Rot-Grün hinterlassen haben“ (Cora Stephan, NDR, Die Meinung, 16.6.2005). Und es werden Menschen beschrieben, älter werdende und alt gewordene Intellektuelle wie Karen Stark und Paul Bremer, die sich unter den neuen Verhältnissen ein Reim auf ihr Leben und immer wieder auch auf ihr nicht selten nach wie vor chaotisches Liebesleben machen müssen. Da sie, ähnlich wie ihre literarische Schöpferin, allesamt nicht altklug oder besserwisserisch, erst recht nicht mehr missionarisch daherkommen, wie vielleicht noch in ihrer Ausbildungszeit, sind sie sympathisch, laden ein zur Identifikation und zur vorsichtigen, entspannten Mitsuche nach einem Lebenssinn in diesen Zeiten. In ihrem neuen Buch „Sauberer Abgang“, dem 6. der Reihe ist diese Suche klassisch inszeniert: Im Jahr 1981 findet sich eine Clique von jungen Männern und Frauen, die, soviel sei hier verraten, beim Neubau der Deutschen Bank in Frankfurt eine gewaltfreie, symbolische Aktion planen und die sich dafür monatelang geheimbündlerisch und konspirativ vorbereiten. Doch die Aktion geht schief, ein Mensch wird getötet und der Anführer der Gruppe, der erwischt wird, wandert in den Knast. Fast 25 Jahre später, einige aus der Truppe treffen sich nach wie vor, darunter ein Kollege Karen Starks. Alle haben sich in ihrer Karriere durchgesetzt, „ sind was geworden“, außer Will, der arbeitslose, auf Honorarbasis arbeitende Lokaljournalist. Ich sehe ihn als Hauptfigur des Buches, ein Vertreter jener Generation der heute 50-jährigen, die sich ihren Prinzipien treu zu bleiben glaubt, aber dennoch am Scheidweg steht. „Das war der Nachteil, wenn man sich erinnert: Man wird unweigerlich sentimental. Und obwohl er sich nie auch nur im geringsten für sein frühkindliches Dasein interessiert hatte, ganz zu schweigen von irgendwelchen Traumata, aus denen alle Welt etwas ableitete, überfielen ihn Szenen aus der Kindheit neuerdings am helllichten Tag. Der kleine Will, der jeden Morgen Magenschmerzen hatte, wenn er in die Schule musste. Der sch vor der Clique fürchtete, die die Klasse terrorisierte. Der den Musiklehrer, seinen einzigen Freund , quälte, nur weil die anderen es auch taten. Er war ein trauriger kleiner Feigling gewesen, und daran hatte sich später auch nichts geändert.“ (122) Als der erste aus der Gruppe tot aufgefunden wird, geraten die anderen in Panik, denn die Vergangenheit kommt wieder hoch und mit ihr all die Lebenshoffnungen und Lebenslügen dieser Generation. Und die Situation spitzt sich zu ... Eine Lebenslüge war es zu glauben, man wäre „ forever young“ (Dylan). Wie Anne Chaplet die Wiederannäherung von Will an seinen alten, kranken und dann sterbenden Vater beschreibt, seine Gefühle ihm gegenüber, den er doch jahrzehntelang als Betonkopf bekämpft und verachtete hatte, ist eines der sensibelsten Stücke von Literatur, die ich in den letzten Jahren in einem Kriminalroman gelesen habe. Diese wiederentdeckte Liebe nimmt im Handlungsfaden des Buches nur eine Nebenrolle ein, ist aber eine der wichtigsten Botschaften des Buches. „Was ist Liebe?“ fragt Karen Stark ihren Gunter am Ende des Buches. „Nichts Schlimmes. Kommt drauf an, was man daraus macht.“
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