Anne Dessau nimmt Dich mit ins Leben der Anna - eine Sechzigerin, die ein Jahr lang auf Nachricht von ihrem Sohn Jan wartet, der nach Australien ausgewandert ist. Sobald er sich dort eingelebt hat, will er Mutter nachholen und ihr ein Flugticket schicken. Die Sehnsucht der Mutter nach einem Lebenszeichen ihres Sohnes begleitet den Leser durch das Buch.
Die "Wartezeit" verbringt Anna damit, dem Leben "Vielfalt abzutrotzen" und so durchstreift sie ihre Lebensstadt bei Tag und Nacht, was dazu führt, dass sie die Verlorenen, Spinner, Stadtstreicher, Ausgeflippten..... kennen- und liebenlernt und von deren Einsamkeit und Besonderheiten erfährt. Trotz ihrer eigenen Tristesse über das nicht Eintreffen des so sehnlichst erwarteten Briefes ihres Sohnes, schafft es Anna immer wieder, den Menschen, denen sie begegnet, Hoffnung zu geben. Anteil an deren Sorgen, Nöten, Lebensgeschichten zu nehmen.
"Woran liegt das, fragt sich Anna auf ihrem Weg. Wohin ich gehe, was immer ich tue, ich falle mitten hinein in die Geschichte von Leuten. Warum? WEIL ICH ZEIT HABE, HINZUSCHAUEN, ZUZUHÖREN?"
Ja - so könnte man es sehen: Sie nimmt sich die Zeit zuzuhören. Sie überschüttet die Menschen mit ihrer Warmherzigkeit, ihrer Liebe, ihrem Verständnis...... und so erlebt sie viele "Wunder" auf ihren Streifzügen.
Sie begegnet der kleinen "Doolitle" (die Geschichte hat mich am meisten berührt) und nimmt sie mit zu sich nach "Hause" - eine richtige Wohnung hat Anna nicht mehr.
Sie wird eingeladen zum Essen von einem Pfleger, der mit Sonja - einer behinderten Frau - an derselben Haltestelle wartet wie sie.
Selbst auf der Kundentoilette bleibt Anna nicht "verschont" von einer wundersamen Begegnung, bei der sie zunächst von Selbstmordabsichten einer jungen Frau ausging....
Alles kommt anders als erwartet.....
Anne Dessau hat mit wundervollen Worten diese Geschichte erzählt. Sie verwendet sehr ansprechende, interessante Metaphern. (Ein Beispiel: "Dann weint Doolittle so sehr, dass ich damit ganze Trockengebiete wässern ließen. Anna nimmt den Engel mit den nassen Flügeln zu sich ins Bett.")
Der Schreibstil des Buches ist ein wenig gewöhnungsbedürftig - man hat keine wörtliche Rede z. B. ! Dafür aber erkennt man die einzelnen Personen gleich am eigenen Sprachstil, der wunderbar rübergebracht wird.
Ich kann es jedem nur empfehlen, der mit die VIELFALT des Lebens und die Wichtigkeit des Zuhörens kennenlernen möchte!
Gleich werde ich es hier in Münster in das "Öffentliche Bücherregal" stellen und wünsche mir, dass es - wie im Leben der Anna - einem Menschen begegnet, der auch auf ein "Wunder" hofft ,-)