Rezension zu "Wer braucht schon Wunder" von Anne MĂŒller
Vor beinah genau fĂŒnf Jahren traf Anne MĂŒllers Erstlingswerk "Sommer in Super 8" bei mir einen Nerv: Wie durch einen Sog fĂŒhlte ich mich beim Lesen in meine eigene Vergangenheit zurĂŒck katapultiert. LĂ€ngst vergessene bzw. verschĂŒttete Erinnerungen kamen wieder an die OberflĂ€che und sorgten fĂŒr aufgewĂŒhlte Emotionen. Nicht ganz so gewaltig aber durchaus Ă€hnlich erging es mir mit ihrem neusten Roman. Standen bei âSommer in Super 8â die 70er Jahre im Mittelpunkt, spielt die Handlung von âWer braucht schon Wunderâ nun in den 80ern.
Sommer 1983: Lika hat endlich das Abitur in der Tasche. Bevor sie die norddeutsche Heimatstadt Kappeln, ihren Vater und kleinen Bruder verlassen und in ein neues Leben eintauchen wird, fĂ€ngt sie als Bedienung bei FrĂ€nki im Kakadu an. Kellnerin Biggi ist hier die gute Seele, auch wenn es privat alles andere als rund lĂ€uft bei ihr. Der Kakadu wird fĂŒr Lika schnell zu einer Art Ersatzfamilie. Das liegt auch am französischen Koch, der sie mit seinem Charme und seinen KochkĂŒnsten umwirbt. Ob Picknick beim Segeln oder nĂ€chtliches Schwimmen, durch Antoine entdeckt Lika in diesen sommersatten Wochen ganz neue Facetten der Liebe. Aber es wird auch ein Sommer der schmerzlichen Wahrheit, denn Lika erfĂ€hrt etwas ĂŒber ihre verstorbene Mutter, was sĂ€mtliche Gewissheiten erschĂŒttert.
(Inhaltsangabe der Homepage des Verlages entnommen!)
Abermals fĂ€ngt Anne MĂŒller gekonnt den Flair eines Jahrzehnts ein. Jede*r, der selbst in dieser Zeit in einem Ă€hnlichen Alter wie die Protagonistin war, wird sich an diese Jahre deutlich erinnern. Die Autorin schuf einen unaufgeregten, beinah sanften âComing of Ageâ-Roman. Unsere Heldin hat das Abitur in der Tasche und jobbt, um die Zeit bis zum Beginn des Studiums zu ĂŒberbrĂŒcken. Es ist eine Zeit der Abnabelung: Die Kindheit scheint noch existent, das Erwachsensein klopft schon an der TĂŒr des eigenen Lebens.
ĂuĂerlich passiert im Grunde recht wenig, zumindest nichts, was fĂŒr eine dauerhafte Spannung in der Handlung sorgen könnte. Doch innerlich durchleben die Protagonist*innen ĂŒber ihre GefĂŒhle und Gedanken wahre Berg- und Talfahrten, die mir nur allzu vertraut waren und mich mitfĂŒhlen und -leiden lieĂen. Die Autorin zeigt hier abermals ihr Können, wertschĂ€tzend und respektvoll glaubhafte Charaktere zu portrĂ€tieren und deren Geschichte in einen Hauch Melancholie, der gepaart ist mit einem QuĂ€ntchen Wehmut, zu tauchen.
Eine beinah schwebende AtmosphĂ€re ist spĂŒrbar, und der Sommer scheint unendlich. Doch wir alle wissen nur allzu genau, dass dies tĂ€uscht. Auch unsere Heldin macht diese Erfahrung: Ein einziger Sommer kann ein Leben verĂ€ndern.