Cover des Buches Das Geschenk der Wölfe (ISBN: 9783499238604)
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Rezension zu Das Geschenk der Wölfe von Anne Rice

Ein gutes Buch in einer selten scheußlichen Verpackung

von Evanesca vor 7 Jahren

Kurzmeinung: Anne Rice kann auch Werwölfe.

Rezension

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Evanescavor 7 Jahren

Eigentlich ist Reuben Journalist, kein Immobilienmakler. Doch nun soll er für seine Zeitung einen Bericht über ein altes Haus schreiben, damit die Besitzerin es verkaufen kann. Doch kaum ist Reuben dort, verliebt er sich in das Gebäude – das aber birgt ein dunkles und uraltes Geheimnis.
Ich muss ehrlich zugeben, ich hatte sehr hohe Erwartungen. Die Bücher von Anne Rice haben meine Teenage-Jahre geprägt und zeigten mir, worüber ich schreiben will. Nur stammen die Bücher, die ich kenne und liebe teilweise aus den Siebzigern und die neueren Werke von Anne Rice habe ich noch nicht gelesen. Die Jesus-Romane entsprechen um ehrlich zu sein auch nicht ganz meinem Beuteschema beim Lesen.
Als ich dann das Buch in der Buchhandlung sah – sollte ich oder sollte ich nicht? Die Angst vor einer Enttäuschung war groß. Gerade weil die Vampirchroniken für mich so bedeutsam waren, hatte ich Angst, dass „Das Geschenk der Wölfe“ nicht an sie herankommt.
Zum Glück habe ich mich geirrt.

Cover:

Tut mir leid, aber das geht gar nicht.
Der schmachtende junge Mann mit dem blassen Gesicht und den schwarzen Augen sieht eher wie ein Vampir aus, weniger wie ein vitaler, die Natur liebender Werwolf. Zu blass, zu düster. Wenn man schon den Protagonisten auf dem Cover haben will als Verlag: Lest das Buch. Oder schlagt wenigstens die erste Seite mit Romantext auf, denn dort steht eindeutig braune Locken und tiefliegende blaue Augen. Nicht leicht hervorstehende schwarze Augen und glatte schwarze Haare.
Ich mag ja generell keine schmachtenden Männer auf Covern – wenn ich nicht wüsste, was mich im Buch erwartet, hätte ich an eins dieser Romantasy-Schulmädchenbücher gedacht und auf diese Weise greifen die richtigen Leute gar nicht erst nach dem Buch, es sei denn, sie kennen Anne Rice bereits und wissen, dass sie für Erwachsene schreibt.
Auch das Haus auf der Anhöhe sieht nicht aus wie die halbe Burg, die im Roman beschrieben wird. Dazu sehen die Krähen, die sie umflattern, verdächtig nach Fledermäusen aus. Einzig der Vollmond und der Titel deutet auf Werwolf hin – sonst hätte man es für ein 0815-Vampirbuch halten mögen.
Schön fand ich die folierte Schrift – die Innenklappe hatte dagegen keinerlei praktischen Wert und die darauf gedruckten Stimmen zum Buch bestanden überwiegend aus Ein-Wort-Ausrufen. Da hätte ich mir mehr gewünscht.
Dazu kommt, dass man so ein dickes Buch einfach stabiler binden müsste – schon nach einem Mal lesen ist der Buchrücken stark gewellt und verknickt, obwohl ich schonend damit umgegangen bin. Wie oft kann ich es also noch lesen, bis die Farbe abblättert und das Buch letztendlich aus dem Leim geht?
Schade.

Inhalt:

Das Buch war so spannend, dass ich es mit mir herumgetragen habe. Wo ich war, war auch das Buch nie weit entfernt.
Klar, das Buch beginnt ganz ricetypisch damit, dass erstmal ein ungewöhnlich hochgewachsener, gutaussehender junger Mann als Protagonist eingeführt wird. Dennoch würde ich nicht behaupten, dass Reuben ein Abklatsch beispielsweise von Lestat wäre – hier hat Rice gekonnt einen jungen Mann mit Neigung zum Altmodischen inmitten moderner Technik geschaffen, mit dem ich mich sehr gut identifizieren konnte. Seine Liebe zum sorgfältig zum Leben erweckten alten Gebäude konnte ich nachvollziehen, wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, wäre ich schnurstracks selbst dort eingezogen.
Besonders gespannt war ich auf das Werwolfskonzept. Toll fand ich vor allem das Intertextuelle – nicht nur tauchten eine Menge Bücher auf und wurden diskutiert, Anne Rice hat auf Werwolfsgeschichten aller möglichen Zeitalter aufgebaut und diese fein in den Roman eingewoben. Für ihre Facebookfollower ein kleines Easteregg, wenn eine der Romanfiguren über ein Buch stolperte, über das sie immer wieder auf ihrer Seite berichtet. Für mich persönlich war außerdem sehr wichtig, dass sie im Ursprung ihrer Werwölfe keinen Abklatsch von Akashas Ursprung aus den Vampirchroniken liefert – das ist ihr in meinen Augen gelungen. Die Herkunftsmythen könnten kaum unterschiedlicher sein, auch wenn natürlich ihre Handschrift durchschimmert.
Den Aufbau fand ich… größtenteils sehr gut. Actionreiche Szenen mit viel Gerenne und zerfetzten Gedärmen wechselte sich mit ruhigen, fast poetischen Passagen ab, in denen der Protagonist genug Zeit hat, um seine neuen Fähigkeiten zu erkunden oder sein Schicksal zu reflektieren. Einzig die Entscheidung, das Buch gegen Ende sanft ausklingen zu lassen, fand ich nicht so toll. Zwischen Showdown und Ende vergingen mir zu viele Seiten, auf denen gegen Ende einfach nicht mehr wirklich etwas Substantielles passiert ist. Hier hätte man kürzen können.

Sprache:

Ich fand Anne Rice‘ Schreibstil schon in ihren alten Vampirromanen sehr schön und poetisch, verglichen mit moderneren Romanen wirkten aber einige Formulierungen teilweise eingestaubt. Nichts davon bei „Das Geschenk der Wölfe“. Die Sprache ist immer noch voller Poesie, die Beschreibungen sehr lebendig und anschaulich, aber das Angestaubte und teilweise (Fangirling hin, Fangirling her, das ist nicht von der Hand zu weisen) Trashige ist weg.
Natürlich sind auch jetzt die meisten guten Werwölfe ungewöhnlich gutaussehend, weise, gütig und der Protagonist ist selbstredend ein schöner Blauäugiger mit einer Körpergröße von 1,90m – dennoch hat sich etwas verändert. Ich kann nicht genau sagen, was – aber der Schreibstil ist jetzt wesentlich ausbalancierter und die ungewöhnliche Schönheit sämtlicher positiver Figuren sticht nicht so sehr als kitschig hervor. Teilweise erklärt sie sich einfach aus der verklärenden Wahrnehmung des Protas.

Fazit:

Ich würde das Buch auf jeden Fall für alle weiterempfehlen, die eine Werwolfgeschichte weitab der gängigen „Vampir vs. Werwolf“-Pfade lesen wollen und nach einer Geschichte suchen, in der die Werwölfe den aktiven Part übernehmen und man aus ihrer Sicht die Welt betrachtet.
Leider wird das Buch im deutschsprachigen Raum nach wie vor als Einzelband behandelt, dabei gäbe es schon seit einem Jahr eine Fortsetzung. Diese ist bisher nicht im deutschsprachigen Raum erschienen. Wer also wissen will, wie es mit Reuben, Laura und Co. weitergeht, muss sich gedulden oder das englische Original zur Hand nehmen.

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