Nach Jahren der Funkstille bekommt Lydia eine E-Mail ihres Sohnes mit den Worten „Komm nach Israel, Mama.“ 10 Jahre zuvor war ihr jüdischer Ehemann mit dem damals 12-jährigen Jungen aus erster Ehe nach Israel ausgewandert und hatte seither den Kontakt zur Stiefmutter unterbunden. Lydia reagiert zunächst nicht. Als sie schließlich nach Israel reist, ist es zu spät: unmittelbar vor ihrer Ankunft hat ihr Sohn sich umgebracht. Nachdem sie den ersten Schock überwunden hat, begibt sie sich auf seinen Spuren auf eine Reise durch das Land und sucht die Orte und Menschen auf, die für Immanuel in seinen letzten Monaten von Bedeutung waren. Diese Reise bringt sie dazu, sich mit dem Land zu beschäftigen. Die Autorin verwendet das Bild eines Risses, den Lydia sieht und spürt, der sich vor ihren Füßen auftut. Dieser Riss geht durch das Land Israel und durch Lydias Leben, für das der Weggang von Joachim und Immanuel eine Zäsur bedeutete.
Joachim sagte kurz nach der Ankunft in Israel zu seinem Sohn, hier seien sie sicher. Für Immanuel hat sich das nicht bewahrheitet.
Das Buch liest sich nicht flott runter. Ich denke, dass die Sperrigkeit gewollt ist, um dadurch die Komplexität der Situation und des Gesamtzusammenhangs zu spiegeln. Die Charaktere sind keine Identifikationsfiguren, sie bleiben unnahbar und mir in weiten Teilen auch unsympathisch und sind voller Widersprüche, Zweifel und innerer Dämonen. Ihr Handeln ist – für mein Empfinden – nicht immer nachvollziehbar.
Warum hat Immanuel sich umgebracht? Eindeutig beantwortet wird die Frage nicht, aber das wäre auch zu einfach.
Man merkt dem Buch an, dass die Autorin sehr viel Recherchearbeit investiert hat. Es ist eine Mutter-Sohn-Geschichte, eine Familiengeschichte, und es geht auch um den Konflikt Israel-Palästina. Sie erzählt ihre Geschichte nicht chronologisch, sondern vom Ende her. Dabei lässt sie Lydia und Immanuel zu Wort kommen. Beide wechseln mehrfach die Zeitebenen zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Lydias Recherchen docken dort an, wo Immanuel seine Geschichte nicht auserzählt. Aber nicht alle Lücken schließen sich, am Ende bleiben Fragen offen.
Anneleen van Offel hat mit „Hier ist alles sicher“ ein unendlich trauriges Buch geschrieben. Aus dem Niederländischen übersetzt wurde es von Christiane Burkhardt.