Cover des Buches Auf brüchigem Boden Land gewinnen (ISBN: 9783466309078)
W
Rezension zu Auf brüchigem Boden Land gewinnen von Annelie Keil

Rezension zu "Auf brüchigem Boden Land gewinnen" von Annelie Keil

von WinfriedStanzick vor 12 Jahren

Rezension

W
WinfriedStanzickvor 12 Jahren
„Leben als Fragment“, so hat der früh verstorbene evangelische Theologe Henning Luther vor etwa 20 Jahren einen leider wenig beachteten Aufsatz betitelt, in der es um die theologische Bedeutung (auto)biografischer Arbeit ging. "Die autobiographische Besinnung des einzelnen auf ‚sein Leben' ist prinzipiell theologisch nicht verwerflich, sondern theologisch gerechtfertigt. Sie liegt auf der Spur jener christlichen Einsicht, dass jeder einzelne Mensch vor Gott unendlichen Wert hat. Die Rekonstruktion der eigenen Lebensgeschichte ist gedeckt durch den Glauben, dass vor Gott mein Leben nicht gleichgültig und sinnlos ist. - Im Lichte dieser Verheißung darf es keine theologische Missachtung der je besonderen Lebensgeschichten einzelner Individuen geben." Luther bezieht sich dabei auf den großen Neutestamentler Rudolf Bultmann: "Diese Beobachtung trifft sich mit theologisch-hermeneutischen Überlegungen zum Glaubensverständnis, wie sie vor allem Rudolf Bultmann herausgearbeitet hat. Danach ist Glaube nie abstrahiert vom je eigenen Leben, sondern immer existenzbezogen. Im Glauben trifft der 'Ruf Gottes' auf den fragenden Menschen; auf den einzelnen, der angesichts seines Lebens - unvertretbar - vor die Frage nach der 'Eigentlichkeit' seines Lebens gestellt ist. Denn jeder Mensch ist voll von Fragen, ja im Grunde von einer Frage; ja mehr: der Mensch ist Frage, bewusst oder unbewusst. Er ist das deshalb, weil sein eigentliches Sein immer als ein künftiges vor ihm steht. Menschliches Leben ist, bewusst oder unbewusst, bewegt von dem Verlangen, der Sehnsucht nach 'Wahrheit', nach 'Wirklichkeit', nach 'sinnvoller', nach verwirklichter Existenz." Die Biographie kann also in besonderer Weise der Ort sein oder das Medium, in dem der einzelne sich selbst als fragendem begegnet. Hier kann das Bewusstsein dafür wach werden, dass unser Leben nicht aufgeht in dem, was wir leisten. Hier können wir auch unserer ungestillten Sehnsüchte innewerden." An diesen Aufsatz, der mich als junger Theologe sehr geprägt hat ( ich hatte das Glück, bei Henning Luther zu lernen) fühlte ich mich schon bald erinnert, als ich das hier vorliegende Buch von Annelie Keil zu lesen begann. Sie, die schon in vielen Büchern sich mit den Krisen des Lebens und der Seele und ihrer jeweiligen Bewältigung befasste, wobei sie die Krise immer als eine Chance zur Selbsterkenntnis und zur inneren und äußeren Heilung begriff, will ihre Leser in diesem Buch einladen, „dem eigenen Leben und sich selbst auf die Spur (zu) kommen“. Dabei bezieht sie sich nicht wie der Theologe Henning Luther auf den Glauben oder auf Gott. Im Gegenteil: sie sieht den Mensch zwischen Chaos und Ordnung, Anpassung und Widerstand, Freiheit und Abhängigkeit in seinem Leben unterwegs, ohne Navigator wie in einer Fremde. Er selbst muss sein Leben gestalten und mit Phänomenen wie Glück und Pech, Liebe und Lust, Angst und Mut, Gelingen und Scheitern umgehen lernen, Phänomene, die der Mensch nicht ändern kann, die er aber begreifen und über die er im Älterwerden etwas lernen kann. Immer auf sein eigenes Leben, auf seine persönliche Geschichte und Biografie bezogen. Was junge Menschen bis etwa 50 Jahre noch selten spüren und erfahren, ist eine Erfahrung, die der reflektierte und bewusste Mensch nach dieser Schwelle zunehmend macht. „Wer leben will, muss älter werden, Erfahrungen sammeln und Land gewinnen.“ Das Buch ist eine durch viele Beispiele angereicherte Einladung, trotz der vielen auch andauernd schmerzhaften Bruchstellen und der nur notdürftig vernarbten Krisen immer wieder neu das Leben zu suchen, sich sozusagen mit ihm zu verabreden. Es geht darum, sich selbst auf die Spur zu kommen und immer wieder neu der eigenen Phantasie und Kraft zu vertrauen. So kann das eigene Leben aus der Quelle der Biografie genesen und gelingen.
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks