Nouris Kälte, seine abrupte Art, sich abzuwenden, ist nicht deutsch, auch sein Leiden unter dem Fehlen einer Identität nicht. Deutsch ist Annas willenlose Hingabe und ihre Unfähigkeit, ihr Agenturleben zu reflektieren. Es geht in diesem Roman um Kulturunterschiede, die etwas mit Glaube und Abstammung zu tun haben, und genau das macht uns oft genug füreinander interessant. Aber es funktioniert nicht. Zumindest funktionierte es 1992 in Berlin nicht, wenn beide Seiten ihren Willen haben wollten.
Um Missverständnisse von vornherein zu vermeiden: Dies ist kein rassistischer Roman. Ich kenne die Autorin persönlich. Sie ist selbst in der orientalischen Familie verankert. Kulturelle Unterschiede, die Sprachlosigkeit zwischen den Kulturen herauszuarbeiten, gegen die kein interkulturelles Management ankommt, ist nicht rassistisch, sondern kritische Wissenschaft unserer Lebens- und Liebesumstände.
Ich mag Nouris abgehackte Gesten, seine Konfliktunfähigkeit, seine Unfähigkeit, sich mit sich selbst zu verständigen. Er durchtaucht verschiedene orientalische, v. a. maghrebinische Milieus - gepflegte türkische Kulturabende in Berlin, Aufbruch eines Glaubensbruders in den Jihad in Frankfurt am Main, elterlicher Haushalt in Marseille, die gutsituierte Verwandtschaft in Tétouan und Marrakesh, karge Wüstenkrale. Er findet sich selbst nicht.
Wie könnte er auch? Seine eigenen Wurzeln sind im längst fremd geworden, und dann schleppt er auch noch ständig die deutsche Geliebte mit sich herum, die ihn wirklich liebt und nicht müde wird, seine Motive zu ergründen. Mich würde sie wahnsinnig machen. Aber sagt es der Autorin nicht. Sie hält große Stücke auf Anna, die doch ebenfalls nur ihrem Leben einen Sinn geben möchte, nur dass sie eben nicht in strenge Sitten verliebt ist, sondern in das pralle Leben.
Ich bin überzeugt, dass so eine Liebe auch heute noch genauso scheitert. Aber der Sex ist großartig!