Annika Mombauer

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Alle Bücher von Annika Mombauer

Neue Rezensionen zu Annika Mombauer

Cover des Buches Die Julikrise (ISBN: 9783406661082)
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Rezension zu "Die Julikrise" von Annika Mombauer

Juli 1914. Vier entscheidende Wochen in der Geschichte Europas
Andreas_Oberendervor 3 Jahren

Derzeit erscheinen so viele neue Bücher zur Vorgeschichte, zum Ausbruch und zum Verlauf des Ersten Weltkrieges, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten. Ein schmales und unscheinbares Werk wie das vorliegende Büchlein läuft Gefahr, in der Masse der Neuerscheinungen unterzugehen. Die in Großbritannien lehrende deutsche Historikerin Annika Mombauer, eine Schülerin von John Röhl, durch ihre Arbeiten über den jüngeren Moltke und die Geschichte der Weltkriegsforschung als Kennerin der Materie ausgewiesen, präsentiert auf weniger als 120 Seiten eine knappe Deutung der Juli-Krise. Mombauer weiß, dass sie sich eines seit jeher kontrovers diskutierten Themas angenommen hat, scheut sich aber nicht, klar und unmissverständlich Stellung zu beziehen.

Schon in der Einleitung macht sie deutlich, wo ihrer Meinung nach die Hauptverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu suchen ist: In Wien und Berlin. Die Verantwortung Frankreichs, Russlands und Großbritanniens wiegt Mombauer zufolge weniger schwer. Zugeständnisse an deutsche Empfindlichkeiten macht Mombauer nicht. Nichts liegt ihr ferner, als Deutschland zu entlasten und die Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges gleichmäßig auf alle europäischen Großmächte zu verteilen, so dass keine von ihnen zu gut oder zu schlecht wegkommt. Mal mehr, mal weniger explizit schreibt Mombauer gegen Christopher Clark an, dessen These, die Staatsmänner Europas seien wie "Schlafwandler" in den Krieg getaumelt, sie entschieden ablehnt (S. 118).

Mombauer ist davon überzeugt, dass der Erste Weltkrieg kein "Unfall" war. Er brach aus, weil das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn ihn wollten. Die Habsburgermonarchie sah nach dem Attentat von Sarajewo die Zeit gekommen, ihren fragwürdig gewordenen Großmachtstatus durch energisches Vorgehen gegen Serbien zu bekräftigen. Das absehbare Eingreifen Russlands zugunsten Serbiens nahm Wien dabei ebenso in Kauf wie Berlin. Beide Mächte waren schon seit Jahren über Russlands Aufrüstung beunruhigt und wollten lieber früher als später gegen das erstarkende Zarenreich losschlagen. Die Aussichten, aus einem Krieg gegen Russland siegreich hervorzugehen, schienen mit jedem Jahr zu schwinden. Beide Staaten schlossen von vornherein eine diplomatische Beilegung der Balkankrise aus. Die Krise hätte nicht eskalieren können, wenn Berlin die verbündeten Österreicher nicht von Anfang an in dem Entschluss bestärkt hätte, ausschließlich auf eine militärische Lösung zu setzen.

Die Möglichkeit, dass aus einem lokalen Konflikt ein großer europäischer Krieg werden könnte, hatten die Politiker und Militärs in Wien und Berlin von Anfang an einkalkuliert. Besonders die deutsche Führung wollte testen, wie sich die Entente in dieser Krisensituation verhalten würde. Würden Russland und Frankreich untätig zusehen, wenn Österreich-Ungarn gegen Serbien vorging? Wenn ja, dann bot sich eine Chance, die Entente zu sprengen und die Einkreisung der Mittelmächte aufzubrechen. Das Deutsche Reich war längst auf einen Zweifrontenkrieg eingestellt und bereit, es mit Frankreich und Russland gleichzeitig aufzunehmen. Dass Großbritannien seine Neutralität erkläre, war Berlins Wunschoption, aber auch von einem Kriegseintritt der Briten auf Seiten Frankreichs und Russlands hätte es sich nicht vom Krieg abbringen lassen, so Mombauer.

Die Reaktionen und Entscheidungen der Regierungen Serbiens, Russlands, Frankreichs und Großbritanniens nach Übergabe des österreichischen Ultimatums sind Mombauer zufolge von sekundärer Bedeutung für die Eskalation der Krise hin zum Krieg. Schwerer wiegt ihrer Meinung nach, dass das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn auch in den letzten Julitagen alle Vorschläge für eine diplomatische Klärung der Krise ablehnten. Die russischen Beistandsbekundungen gegenüber Serbien, die französischen Zusicherungen an Russland, im Ernstfall den vereinbarten Bündnispflichten nachzukommen, Russlands frühzeitige Teilmobilmachung ab dem 26. Juli sind nach Mombauers Auffassung weniger gravierende Faktoren als die Weigerung Berlins und Wiens, die von London mehrfach vorgeschlagene Verhandlungslösung zu akzeptieren. Gleichwohl stellt Mombauer klar, dass an Frankreichs und Russlands grundsätzlicher Kriegswilligkeit kein Zweifel bestehen kann. Beide Staaten sahen in dem Krieg eine willkommene Bewährungsprobe für ihr Bündnis. Großbritannien ergriff schließlich Partei für Frankreich und Russland, weil es nicht riskieren wollte, der latenten Rivalität mit dem Zarenreich durch Untätigkeit neue Nahrung zu geben.

Sicher ist kein Autor glücklich darüber, die Juli-Krise auf so knappem Raum behandeln zu müssen. Mombauer kann viele Aspekte nicht ansprechen, die im Zusammenhang mit ihrem Thema eigentlich von Bedeutung sind (z.b. Nationalismus und Revanchismus, das Wettrüsten, die Entwicklung der Bündnissysteme u.a. mehr). Das Buch setzt in den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Weltkrieges ein und besitzt daher nicht die zeitliche Tiefendimension, die zum Verständnis der Juli-Krise eigentlich nötig ist. Eine umfänglichere Darstellung, etwa das vieldiskutierte Buch von Christopher Clark, kann ein wesentlich subtileres, nuancenreicheres Bild entwerfen als Mombauers schmaler Band. Lesenswert ist Mombauers Büchlein allemal. Die Autorin verdient Respekt dafür, dass sie eine klare und eindeutige Position bezieht, auch wenn absehbar ist, dass sie mit dieser Position bei vielen deutschen Lesern auf Widerspruch stoßen wird, zumindest bei denen, die im Banne von Clarks Werk stehen. Für sich genommen ist Mombauers Argumentation schlüssig. Mombauer spricht Frankreich und Russland nicht von jeglicher Mitverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges frei, schätzt die Verantwortung dieser beiden Staaten aber als geringer ein als die der Mittelmächte, die - wie Mombauer mehrfach mit Nachdruck betont - die Möglichkeit eines großen europäischen Krieges von Anfang an bewusst in Kauf nahmen. 

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Februar 2014 bei Amazon gepostet)

Cover des Buches Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War (New Studies in European History) (ISBN: 9780521791014)
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Rezension zu "Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War (New Studies in European History)" von Annika Mombauer

Der Mann, der den Krieg wollte
Andreas_Oberendervor 3 Jahren

Der deutsche Generalstabschef Helmuth von Moltke (1848-1916) - zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Onkel und Amtsvorgänger der "jüngere Moltke" genannt - gehört seit langem zum Kreis der Personen, denen eine hohe Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zugeschrieben wird. Und mehr noch: An Moltke haftet nicht nur das Odium des Kriegstreibers, der seit seiner Ernennung zum Generalstabschef (1906) auf einen Präventivkrieg gedrängt habe. Ihm wird auch die Schuld an der deutschen Niederlage in der Marne-Schlacht (September 1914) angelastet. Moltke, so war bald nach Kriegsende aus deutschen Militärkreisen zu hören, habe sich nicht strikt an den Schlieffen-Plan gehalten, der auf seinen Amtsvorgänger Alfred Graf von Schlieffen zurückging, und damit das deutsche Heer um den erhofften raschen Sieg an der Westfront gebracht. Moltke, nach dem Debakel an der Marne abgelöst und 1916 verstorben, konnte sich gegen die Vorwürfe seiner Kritiker nicht mehr wehren. Seit den 1920er Jahren wurde er immer wieder unvorteilhaft mit seinem berühmten Onkel und mit dem vermeintlich "genialen" Schlieffen verglichen. Bald setzte sich die Auffassung durch, Moltke sei ein untalentierter, einfallsloser Epigone und ein Schwächling gewesen, der niemals den wichtigen Posten des Generalstabschefs hätte erhalten dürfen.

Eine moderne Moltke-Biographie fehlt bis heute. Annika Mombauers Buch aus dem Jahr 2001, das auf einer von John Röhl betreuten Dissertation beruht, ist keine Biographie, sondern eine Studie über Moltkes Tätigkeit an der Spitze des Großen Generalstabes. Mombauer verfolgt das Ziel, Moltkes Wirken vor dem Krieg und in den ersten Kriegsmonaten auf Grundlage der erreichbaren Quellen zu untersuchen und zu bewerten. Die Quellenlage ist alles andere als günstig. Moltkes Nachlass weist große Lücken auf, denn zahlreiche Dokumente, darunter Tagebücher, wurden von der Familie vernichtet. Erste Säuberungen erfolgten gleich nach Moltkes Tod. Wichtige Aktenbestände aus dem Militärarchiv des Kaiserreiches gingen im Zweiten Weltkrieg verloren. Betroffen von diesen Verlusten waren u.a. die Akten des Generalstabes. Mombauer hat sich davon nicht entmutigen lassen. Sie ist auf andere Quellenbestände ausgewichen. Die Fülle der Archivmaterialien, die sie gesichtet und ausgewertet hat, ist beeindruckend. Die verfügbaren Quellen erlauben es ihr, ein anschauliches Bild von Moltkes Rolle an der Spitze des Generalstabes und im Umfeld des Kaisers zu zeichnen. Mombauer geht es vor allem darum, Moltkes Stellung in der Dreiecksbeziehung zwischen Kaiser, Militärführung und ziviler Reichsleitung herauszuarbeiten.

Im ersten Kapitel analysiert Mombauer den institutionellen Kontext, in dem Moltke tätig war. Auch die Führungsorgane des Militärs blieben nicht von dem "polykratischen Chaos" verschont, unter dem die Behörden des Kaiserreiches litten. Neben dem Generalstab befassten sich das preußische Kriegsministerium (ein Reichskriegsministerium gab es nicht), das Militärkabinett des Kaisers und die militärische Entourage des Monarchen mit Fragen, die die Streitkräfte betrafen. Die Arbeit in diesem unübersichtlichen Institutionengefüge war für alle Beteiligten anstrengend und kräftezehrend. Rivalitäten und Intrigen, Rangeleien um Einfluss und Entscheidungskompetenzen waren an der Tagesordnung. Militärangelegenheiten gehörten zur Prärogative des Kaisers und waren dem Einfluss der zivilen Reichsleitung weitgehend entzogen. Bis in die Juli-Krise hinein war der Reichskanzler nur in groben Zügen über den Schlieffen-Plan informiert. Die heikelsten Aspekte des Plans wurden vom Generalstab bewusst geheim gehalten. Nach einer respektablen Dienstlaufbahn ohne herausragende Leistungen und Verdienste wurde Moltke Anfang 1906 zum Generalstabschef ernannt. Seine Berufung hatte er dem guten Verhältnis zum Kaiser zu verdanken und dem Umstand, dass weit und breit keine besser geeigneten Kandidaten zu finden waren. Stimmen, die an Moltkes Eignung zweifelten, drangen nicht bis zum Ohr des Monarchen vor.

Wie Mombauer im zweiten Kapitel zeigt, war Moltke keineswegs so unfähig, wie seine Kritiker später behaupteten. Die nach dem Weltkrieg erhobene Kritik entsprang dem Versuch, ihn zum Sündenbock für den Kriegsausbruch und das Scheitern des Schlieffen-Plans zu machen. Moltke war zwar kein brillanter Kopf, ging seiner Tätigkeit im Generalstab aber mit Energie, Kompetenz und Umsicht nach. Er nahm am Schlieffen-Plan einige Änderungen vor (u.a. Verzicht auf eine Invasion der Niederlande im Kriegsfall), behielt den Kern des Planes aber bei. Einfallslos war Moltke insofern, als auch er sich nur einen großen europäischen Krieg vorstellen konnte, in dem Deutschland an zwei Fronten würde kämpfen müssen. Er hielt an Schlieffens Grundkonzeption fest - rascher Sieg über Frankreich im Westen, danach die Entscheidung gegen Russland im Osten -, ohne je irgendwelche Alternativen in Betracht zu ziehen. Es kam Moltke nie in den Sinn, im Westen einen reinen Defensivkrieg zu führen und das Gros der deutschen Truppen sofort gegen Russland einzusetzen. Das ist umso unverständlicher, als Moltke die Überzeugung vieler deutscher Politiker und Militärs teilte, Russland sei der gefährlichere Gegner Deutschlands. Ähnlich wie der Kaiser steigerte sich Moltke in die fixe Idee hinein, Russland hege finstere Pläne gegen das Reich, ein "Rassenkampf zwischen Germanen und Slawen" stehe unmittelbar bevor. Die starre Fixierung auf einen Zweifrontenkrieg führte dazu, dass Deutschland im Sommer 1914 keine Strategie für einen lokal begrenzten Krieg auf dem Balkan bzw. einen Krieg nur gegen Russland besaß. Einem Kriegseintritt Großbritanniens auf Seiten der Entente nach Verletzung der belgischen Neutralität sah Moltke gelassen entgegen, da die Briten seiner Meinung nach zu Lande keinen ernst zu nehmenden Gegner darstellten.

Ein Krieg nur gegen Russland war aus Moltkes Sicht ausgeschlossen, weil Frankreich dem Zarenreich auf jeden Fall zu Hilfe kommen würde. Der sogenannte "Aufmarschplan Ost", vorgesehen für einen Krieg nur gegen Russland, wurde 1913 aufgegeben. Damit der leicht modizifierte Schlieffen-Plan überhaupt Aussicht auf erfolgreiche Umsetzung hatte, musste die deutsche Armee ihren Gegnern numerisch überlegen sein. Mit Nachdruck setzte sich Moltke in den letzten Friedensjahren vor 1914 für eine massive Vergrößerung des deutschen Heeres ein. Da der Rüstungswettlauf mit Frankreich und Russland auf die Dauer nicht zu gewinnen war, forderte Moltke immer wieder einen Präventivkrieg - "je eher, desto besser". Deutschland sollte zuschlagen, bevor seine Gegner zu stark wurden. Die Reichsleitung nutzte die außenpolitischen Krisen zwischen 1906 und 1914 jedoch nicht, um den gewünschten Präventivkrieg zu entfesseln. Moltke war zunehmend frustriert über diese "vertanen Chancen". Mombauer zufolge war die martialische Rhetorik des Generalstabschefs ernst gemeint und keineswegs nur eine Pose. Moltke wollte den großen Krieg in naher Zukunft, weil er fürchtete, dass dem Deutschen Reich die Zeit davonlief. Insgeheim zweifelte er an den Erfolgsaussichten des Schlieffen-Plans und überhaupt an der Möglichkeit eines kurzen siegreichen Krieges. Er behielt die Zweifel aber für sich und nährte dadurch bei der Reichsleitung die Illusion, ein Waffengang an zwei Fronten sei problemlos zu gewinnen.

Moltkes historische Schuld besteht darin, so Mombauer, dass er die Reichsleitung zu einer risikoreichen Politik ermunterte, sie aber gleichzeitig über die fatalen Implikationen des Schlieffen-Planes im Unklaren ließ (sofortiger Einmarsch nach Belgien und Eroberung der Festung Lüttich ohne Kriegserklärung). Gegen Ende der Juli-Krise wurde den Beteiligten schlagartig bewusst, wie sehr der Schlieffen-Plan Deutschlands Handlungsspielraum einengte. Kaiser und Kanzler konnten sich dem eisernen Automatismus der Aufmarschpläne nicht mehr entziehen. Während der Verwirrung um ein vermeintliches britisches Neutralitätsangebot (1.08.) stellte Moltke unmissverständlich klar, dass die Invasion Luxemburgs und Belgiens nicht mehr zu stoppen war. Er bekam den Krieg, den er jahrelang gefordert hatte. Und das war kein Krieg, dessen Ziel darin bestand, Österreich-Ungarns Balkanprobleme zu lösen. Diese Probleme waren für Moltke zweitrangig, wenn nicht gar irrelevant. Gebieterisch verlangte er von seinem österreichischen Amtskollegen Conrad, die Donaumonarchie solle den Hauptteil ihrer Truppen gegen Russland ins Feld führen, nicht gegen Serbien. Moltke wollte Frankreich und Russland ausschalten, bevor sich die Kräfteverhältnisse in Europa weiter zuungunsten Deutschlands verschoben. Die von Mombauer angeführten Belege zeigen dies eindeutig. Als ihm nach der Marne-Schlacht dämmerte, was er angerichtet hatte, erlitt Moltke einen körperlichen und nervlichen Zusammenbruch. Bald darauf wurde er als Generalstabschef abgelöst und ins Abseits gedrängt.

Niemand, der den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verstehen will, kann es sich erlauben, Mombauers Buch zu ignorieren. Auch wenn neuere Forschungen den Anteil Frankreichs und Russlands am Kriegsausbruch stärker hervorheben (siehe die Arbeiten von Stefan Schmidt und Sean McMeekin sowie Christopher Clarks "Schlafwandler"), kann nach der Lektüre von Mombauers Studie kein Zweifel an der schweren Schuld der deutschen Reichsleitung und Militärführung bestehen. Moltke ist nicht als isolierter Akteur zu betrachten. Er war vielmehr der typische Repräsentant einer zwischen Zukunftsangst und Selbstüberschätzung schwankenden Führungsschicht, die den einzigen Ausweg aus Deutschlands schwieriger außenpolitischer Lage in einem großen europäischen Krieg sah. 

(Hinweis: Diese Rezension habe ich zuerst im Januar 2015 bei Amazon gepostet)

Cover des Buches Die Julikrise (ISBN: 9783406661082)
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Rezension zu "Die Julikrise" von Annika Mombauer

Kompakte, aber inhaltliche treffende Darstellung
M.Lehmann-Papevor 10 Jahren

Kompakte, aber inhaltliche treffende Darstellung

Es sind die Tage zwischen dem 28. Juni 1914 (das Attentat in Sarajewo) bis zum 4. August 1914 (Kriegserklärung Englands an Deutschland und damit Ausbruch des ersten Weltkrieges), in denen Europa „sehenden Auges“ aus durchaus verschiedenen Motiven der verschiedenen Seiten heraus auf den ersten Weltkrieg teils zuging, teils getrieben wurde.

Ein verharmlosendes „Hereinschlittern“ aber, als wäre das Ganze ein missverständlicher Unfall, eine unabänderliche Aneinanderreihung von „Schicksal“ gewesen, dem erteilt Annika Mombauer in ihrer Darstellung aufgrund fundierter Quellenauswertung eine klare Absage.

Dieser Krieg an sich war gewollt. War als „außenpolitischer Befreiungsschlag“ des deutschen Reiches und Österreich-Ungarns ebenso geplant, wie die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und Englands und die politischen Pläne des Zarenreiches ihre Rolle spielten.

Ob allerdings die dann folgende „Urkatastrophe“ in dieser Form „angestrebt“ war oder überhaupt nur für möglich gehalten wurde, darf nach der Lektüre dieses schmalen Bandes (wie bisher) mit Fug und Recht weiter bezweifelt werden.

Kurzsichtigkeit, Egomanie, teils poltische Inkompetenz und / oder Borniertheit, vieles kam zusammen in einer seit Jahren bereits europäisch-aufgeladenen Atmosphäre. Denn, wie Mombauer in ihrem Blick auf die vorlaufende Zeit klar herausarbeitet, stellt das Attentat von Sarajewo und die Folgen letztendlich nur die logische Konsequenz einer weitreichenden und langen Reihe von internationalen Konflikten dar.

Es mag einzelne Politiker und politische Kräfte gegeben haben, deren Blick weiter reichte und die „das Schlimmste“ verhindern wollten, aber in der allgemeinen Gemengelage waren solche Ambitionen zum Scheitern verurteilt.

Nicht umsonst ging ein Aufschrei des Stoltzes und der „Kriegsbegeisterung“ auch durch breite Ströme des „einfachen Volkes“, als der Krieg ausbrach. Entsprechend eben der allgemeinen Befindlichkeit als Ergebnis jahrelanger „Aufheizung“.

Deutlich wird auch, dass es nicht „den einen“ schuldigen (lange Zeit Deutschland) zu verorten gibt, sondern an vielen Orten und unter vielen Interessen Konflikte schwärten und nicht friedlich beigelegt wurden. U.a. Seit 1870/71 bereits gärte die „Wunde Frankreichs“, die sich in zunehmenden und starken Ressentiments gegen alles Deutsche mehr und mehr spürbar vertiefte.

Insgesamt eine sachgerechte und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft sich befindenden, differenzierte Darstellung, die trotz des eher geringen Umfangs die gewollte Unabwendbarkeit des Kriegsausbruches von allen Seiten her beleuchtet.

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