Rezension zu "Brandstatt" von Anousch Mueller
Die Juroren des letzten Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs haben dieses Erstlingswerk von Anousch Mueller als viel zu unausgereift beurteilt und ihm damit großes Unrecht getan.
Vielleicht ist „Brandstatt“ (noch) nicht der richtig große Roman, aber das waren auch viele andere Debütromane nicht. Doch Anousch Mueller schreibt authentisch und vor allen Dingen höchst glaubwürdig. Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit zumindest ein Teil ihrer eigenen Lebensgeschichte, die sie hier ihrer Ich-Erzählerin Annie Veit in den Mund legt.
Annie Veit ist Studentin in Berlin, als sie im Sommer 2009 einem Mann wieder begegnet, den sie seit 1993 nicht mehr gesehen hat, aber auf eine ihr selbst unerklärliche Art nach wie vor begehrt. Schon als sie 14 Jahre alt war und noch in dem kleinen thüringischen Dorf lebte, wo sie 1979 (wie die Autorin selbst) geboren und aufgewachsen war, hat sie sich in diesen Jan Pajak verliebt. Ihre schöne und exaltierte Mutter hatte wohl eine Beziehung zu diesem Mann, wie die pubertierende Annie ihr nachspionierend herausfindet. Und auch sie selbst beschreibt in Andeutungen eine eigene sexuelle Begegnung mit Jan Pajak, vor der dieser aber zurückschreckt.
Zu dieser Zeit im Juli 1993 verschwindet das Mädchen Lydia Noll und Jan Pajak gerät in Verdacht, sie missbraucht zu haben. Er verlässt bald seinen abgelegenen Hof, die „Brandstatt“, und auch Annie geht bald nach Berlin.
Es sind diese drei Zeitebenen, auf denen Anousch Mueller ihren Roman ansiedelt. Da sind die Erinnerungen Annie an ihre Kindheit in den achtziger Jahren, die Zeit nach 1989 und vor allem das Jahr 1993, als Lydia Noll verschwindet und Annies Leben als Studentin in Potsdam Anfang der Nuller-Jahre. Dort lebt sie mit dem überheblichen Intellektuellen Leo zusammen, mit dem sie vieles aushält und dem sie eine auch für sie selbst unerklärliche Leidenschaft entgegenbringt. Bis sie Jan Pajak wiedersieht und nicht ruht, bis sie ihm wieder begegnet, und mit ihm all das auslebt, was damals ihrer Mutter und auch ihr selbst nicht möglich war.
„Brandstatt“ ist ein Roman über die Selbstbefreiung einer jungen Frau aus einer schon seit ihrer Jugend anhaltenden Krise. Authentisch und mit wahrhaftiger Stimme geschrieben, hat mich der Roman trotz vielleicht einiger stilistischer Schwächen überzeugt. Er berührt durch die schmerzhaften Veränderung der Ich-Erzählerin zur reifen Persönlichkeit, und mit der Frage, was eigentlich mit Lydia Noll geschehen ist, ist eine bis zum Ende anhaltende Spannung aufgebaut.
Ich bin auf Anousch Muellers zweiten Roman gespannt, und hoffe sehr, dass sie ihn trotz der ungerechten Kritik und der mangelnden Beachtung ihres Erstlings auch schreibt.