EINE UNVERHOFFTE MENSCHLICHE LÄUTERUNG...
Zwei Temperamente, zwei Weltanschauungen, zwei Unversöhnlichkeiten. Hier der studierte Philosoph und Petersburger Bonvivant Iwan Andrejitsch Lajewski, dort der nüchterne Zoologe und unerbittliche Sozialdarwinist Nikolai Wassiljewitsch von Koren. Als ihre Feindseligkeiten eskalieren und von Koren dem Finanzbeamten Lajewski Pflichtvergessenheit vorwirft, fordert der eine den anderen gemäß dem traditionellen Ehrenkodex zum Duell. Im Angesicht des nahenden Todes überdenkt Lajewski in der Nacht davor sein liederliches Dasein, das auf Lüge, Pump, Betrug und Selbstbetrug gebaut ist. Seinerzeit hatte er einer verheirateten Frau falsche Versprechungen gemacht, um sie jetzt just in dem Augenblick sitzenzulassen, da sie Witwe geworden ist. Als er das Duell leicht verletzt überlebt, nutzt der Taugenichts diese Zäsur, um sein Leben von Grund auf zu ändern. (Verlagsbeschreibung)
Diese Novelle aus dem Jahr 1891 spielt mit gesellschaftlichen Gegensätzen. Die späteren Duellanten stehen sich auch zuvor schon hinsichtlich ihres Standes, ihrer Lebensweise, ihrer Ansichten, ihrer Argumente als extrem gegensätzliche Charaktere gegenüber. Auf der einen Seite steht der selbst in seinen eigenen Augen degenerierte und nutzlose Adelige Lajewski, der pflichtvergessen, vergnügungssüchtig, verschuldet und verlogen durch den Tag zu dümpeln pflegt und dabei überlegt, wie er sich ohne großes Drama von seiner derzeitigen Lebensgefährtin, einer verheirateten Frau, trennen kann. Und auf der anderen Seite steht der sozialdarwinistische, pragmatische und kompromisslose Zoologe von Koren, der sich per se überlegen fühlt und der alles Unnütze am liebesten ausmerzen würde und dem dafür jedes Mittel recht ist.
Die Novelle ist sehr dialoglastig, was für Lebendigkeit in der ansonsten oft szenenbezogen-statischen Darastellung sorgt. Die Figuren sind insgesamt sehr prototypisch angelegt, was einerseits die klassischen Rollenbilder der damaligen Zeit nahebringt, andererseits aber oft auch sehr klischeehaft wirkt. Allerdings war es seinerzeit wohl auch schwierig, aus den zugeschriebenen Rollen "auszubrechen", wie folgender Dialog belegt:
"Denn nie und nimmer glaube ich, dass der Mann schuld ist, wenn wir sündigen. Schuld sind immer wir Frauen. Der Mann ist seiner Natur nach leichtfertig, er lebt mit dem Kopf, nicht mit dem Herzen, und so vieles versteht er nicht. Die Frau aber versteht alles. Von ihr allein hängt alles ab. Ihr ist viel gegeben, und so wird viel von ihr verlangt. (...) wäre sie törichter, schwächer als der Mann, nie hätte Gott ihr die Erziehung von Knaben und Mägdlein anvertraut!" (S. 85)
Die Übersetzung wirkte auf mich eher - modern? Jedenfalls wollte sich bei mir das Gefühl von "altertümlicher Schreibweise" wie sonst bei "alten Klassikern" einfach nicht einstellen. Positiv empfand ich die wertfreie und zurückhaltende Darstellung Tschechows - er lässt die Figuren agieren, und oftmals erscheinen sie objektiv betrachtet in keinem guten Licht, aber sie stehen für sich und überlassen sich dem Urteil des Lesers. Sympathisch erschien mir dabei niemand. Der Autor skizziert für mein Empfinden insgesamt ein glaubhaftes Gesellschaftsbild der damaligen Zeit. Die Wendung nach dem Duell erschien mir dagegen doch recht konstruiert und nicht unbedingt vorstellbar, aber es wird deutlich, was Tschechow damit ausdrücken wollte.
Das angehängte Nachwort bietet interessante Einblicke v.a. in das Leben und Wirken Tschechows, der ein sehr interessanter, mutiger und geradliniger Mann gewesen zu sein scheint, dazu lange krank und früh verstorben. Die Verortung des Werkes in den gesellschaftlich-zeitlichen Kontext dagegen kam m.E. dagegen etwas zu kurz.
Alles in allem jedenfalls ein interessanter Einstieg in die Werke Tschechows - sicherlich werde ich noch nach weiteren Titeln Ausschau halten!
© Parden