Cover des Buches Das Institut der letzten Wünsche (ISBN: 9783426653654)
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Rezension zu Das Institut der letzten Wünsche von Antonia Michaelis

Herzenswünsche

von lesenslust vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Es sind Wünsche nach einem zweiten Weihnachten oder nach Schneeflocken im April, die mitten ins Herz treffen und für immer dort verweilen.<3

Rezension

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lesenslustvor 9 Jahren

“Frau Schmitz lächelte. Sie konnte es. Sämtliche Falten in ihrem Gesicht vertieften sich dabei, als wäre jedes von ihnen die Erinnerung an ein vergangenes Lächeln; neunundneunzig Jahre Lächeln.”

Zitat, Seite 14

Jeden Tag sterben Hunderte von Menschen. Einige Leben enden plötzlich und unerwartet, während sich andere nur langsam und schleppend ihrem Ende nähern. Die Diagnose einer unheilbaren Krankheit und ein damit verbundener schleichender Sterbeprozess wird für viele Menschen und ihren Angehörigen zur schier unüberwindbaren Qual. Nur wenigen von ihnen ist ein Abgang in Würde vergönnt. Im “Institut der letzten Wünsche” haben sich Ingeborg und Mathilda daher die Erfüllung letzter Herzenswünsche zur Aufgabe gemacht. Es sind die Wünsche von Menschen, deren Lebenszeit auf weniger als ein halbes Jahr begrenzt ist. Ihnen wollen sie sich annehmen um ihnen ein letztes Lächeln auf die Lippen zu zaubern.

“Wenn es eine Nummer für die Günstigkeit der Lage eines Tumors gegeben hätte, hätte sie weder 0 oder 2 gelautet, sondern ‘Arschloch’.”

Zitat, Seite 48

So wird jeder Tag zu einer Herausforderung und jeder Herzenswunsch zu einer Entdeckungsreise mit ungewissem Ausgang. Und während Ingeborg als ehemalige Chefärztin die Launenhaftigkeit und Willkür des Todes zur Genüge kennt, scheint die 25-jährige Mathilda der Brutalität des Todes nur bedingt gewachsen zu sein. Ohne die tägliche Einnahme von Kopfschmerztabletten übersteht sie die Tage nur schwer und ein normales Leben neben dem Job scheint kaum machbar.

Als Birger Raavenstein, ein ehemaliger Rechtsanwalt und Mann mittleren Alters das Institut betritt, wendet er sich mit seinem letzten Wunsch an Mathilda. Die Suche nach seiner Herzensdame aus vergangenen Zeiten und der vermeintlich 15-jährigen Tochter wird für Mathilda zur Herzensaufgabe. Eine Aufgabe, die sie weit über ihre Arbeit hinaus begleitet.

“Sie würde es finden, sie, Mathilda. Für ihn. Sie wollte diesen zerzausten, zerschlissenen, irgendwie gescheiterten London-Berliner Rechtsanwalt lächeln sehen; nicht schulterzuckend und ironisch lächeln, sondern ganz und gar glücklich. Ehe er diese Welt verließ. Für immer. Aber das war ja gelogen. Sie wollte ihn nicht nur lächeln sehen. Sie wollte viel mehr.”

Zitat, Seite 46

Neben Birger finden sich noch viele andere Menschen im Institut ein. Da wäre z.B. die 99-jährige Ewa Kovalska, die vor ihrem Tod die längst verstorbene Opernsängerin Maria Callas noch einmal singen hören möchte; der alte Jakob Mirusch, ein gebrechlicher Uhrmacher, der von einem letzten Spieleabend im Studentenkreis träumt oder Herr Schmidt, der früher beim Radio war und ein letztes Mal auf Sendung gehen möchte, um zu den Leuten in Berlin zu sprechen.

“Die Zeit tropfte zäh und langsam durch die Flaschen auf den Infusionsständern, die Sekunden flossen durch Schläuche, die Minuten sammelten sich in den Urinbeuteln der Katheder zu einem trüben, gelben Gewässer aus gelebtem Leben.”

Zitat, Seite 56

Antonia Michaelis, die sich u.a. durch Romane wie der “Der Märchenerzähler” einen treuen Leserstamm gesichert hat, begeistert uns mit einem neuen Werk. “Das Institut der letzten Wünsche” heißt es. Es ist ein einfühlsames Werk geworden, in dem die Autorin ein bedrückendes Thema aufgreift: die Diagnose einer unheilbaren Krankheit und den bevorstehenden Tod.

Doch wie kann man an einem solchen Thema mit genügend Abstand entgegentreten, ohne selbst in Depressionen zu verfallen? Michaelis kennt die Antwort. Anstatt den Tod in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen, konzentriert sie sich auf die Menschen dahinter. Menschen, die letzte Herzenswünsche besitzen. Wünsche, an deren Erfüllung sie sich hoffnungsvoll klammern wie an einen dünnen Strohhalm.

Es sind Wünsche nach einem zweiten Weihnachten, nach Schneeflocken im April, einem Sprung ins kühle Nass trotz Rollstuhl, nach tosenden Fahrten im Heißluftballon, der Begehung eines stillgelegten Vergnügungsparks, der Begegnung mit toten Persönlichkeiten und der Suche nach einer verlorengegangenen Liebe. Dinge, die unmöglich scheinen und dennoch durch das Zutun von Ingeborg und Mathilda wahr werden.

“Ihr hopst mit den Sterbenden im Land der Wünsche (…) herum, und sie danken euch dafür. Es ist eine leichte und bunte Sache, so wie Seifenblasen. Wir, in der Klinik … Wir machen die Drecksarbeit. Uns dankt keiner.”

Zitat, Seite 271

“Alles war bunt und fröhlich oder wäre bunt und fröhlich gewesen, wenn Licht da gewesen wäre. Pippi-Langstrumpf-Land. (…) Jetzt, nachts, zwischen Asphalt und schlafenden Autos, wirkte es unwirklich und aufgesetzt, tot. Eine gewollte Freundlichkeit, die unter den Straßenlaternen ihre Farben verloren hatte.”

Zitat, Seite 279

Michaelis gelingt es mit spielerischer Leichtigkeit uns für die Idee hinter dem Institut der letzten Wünsche zu begeistern. Sie reißt uns mit, in einen Strudel voll kindlicher Begeisterung. Der Tod gerät ganz plötzlich in den Hintergrund, auch wenn er auf jeder Seite präsent bleibt. Trotz des kritischen Blickes auf das Handeln des Instituts, dass sich mit der Anklage, wie eine Sterbehilfe zu agieren, auseinander setzen muss, bleibt die Idee hinter der Story einfach herzerwärmend.

So schweben wir wie in einer Seifenblase durch die Geschichte, begegnen Menschen, ihren traurigen Schicksalen und letzten Herzenswünschen. Und nicht selten erschüttern die ehrlichen und direkten Zeilen der Autorin unsere perfekte Seifenblasenschutzhülle. Doch der Blick durch die vermeintlich unsichtbare Hülle schenkt uns den nötigen Abstand, den wir brauchen, um dem Tod entgegenzutreten.

Mein großer Herzenswunsch ist es, dass dieses Buch so viele Leser wie möglich erreicht.

“Schönes Kind”, sagte Herr Maik Wagner, “wir haben früher noch viel verrücktere Sachen gemacht. (…) Erfahrungen, ging immer um Erfahrungen. Grenzen testen. War ‘ne andere Zeit. Heute ist alles möglich, und keiner macht was. Euer Institut ist eine Ansammlung von Spießern.”

Zitat, Seite 104

“Es war so ein friedliches Bild – Jakob mit der Uhr, Ewa mit dem Leuchten in den Augen, als schwebte etwas in dem kleinen Büro, das sich nicht in Worte fassen ließ. Vielleicht war es eine Art von Glück. Und Mathilda wünschte, alles könnte einfach so bleiben.”

Zitat, Seite 148

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