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Antonio DalMasetto
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Noch eine Nacht
Unten sind ein paar Typen
Blut und Spiele
Als wäre alles erst gestern gewesen
Neue Rezensionen zu Antonio DalMasetto
Chance vergeben
Die Idee von Antonio dal Masettos "Noch eine Nacht" ist wirklich spannend; die Mitglieder eines Bankräuberquartetts werden, da ihr Fluchtversuch scheitert, selbst zu Gejagten. Die Einwohner des Dorfes kreisen die vier Bankräuber ein und die Geschichte treibt so ihrem bitteren Ende zu (es ist dem Leser von Anfang an klar, daß es hier so enden wird). Ein Sujet, das in den Händen eines grossen Autors ein Traumstoff wäre. Antonio dal Masetto zeichnet skurrile Figuren, das Treiben im Dorf ist höchst merkwürdig, er zeichnet viele Handlungsstränge, es gäbe hier wirklich mehr als genug Material für "mehr". Leider bleibt zu viel nur "schlampert" (wie wir in Österreich gerne sagen) skizziert und die Sprache dann doch streckenweise etwas seicht, was meiner Meinung nach nicht an der Übersetzung liegt. Schade, sehr sogar. Als Drehbuch für einen Film (Coen Brüder z.B.) würde sich dieses Buch jedoch sehr gut eignen, für einen Roman fehlen mir dann doch leider die Zwischentöne.
Melancholische Erinnerungen an die Heimat
Mit zwölf Jahren (1950) wanderte Antonio Dal Masetto mit seinen Eltern nach Argentinien aus. Geboren wurde er im norditalienischen Intra (Verbania) am Lago Maggiore. Der Autor steht sozusagen zwischen den Stühlen. Haben ihn die italienischen oder die argentinischen Einflüsse mehr geprägt? In seinen acht Romanen und etlichen Erzählbänden spürt man eher die Auseinandersetzung mit dem Herkunftsland des Tangos. Ganz anders jedoch der 1990 geschriebene, nunmehr erstmals auf Deutsch vorliegende Roman "Als wäre alles erst gestern gewesen". Eine Reminiszenz an die Wurzeln seiner Herkunft.
Auch stilistisch offenbart sich das Buch, welches erneut von Susanna Mende stilsicher übertragen wurde, ganz anders als sein bisheriges Ouevre. Ein stilles und leises Werk Dal Masettos. Ein bezauberndes Familienepos über seine Familie, die Mitte des letzten Jahrhunderts zu neuen Ufern aufbricht und ihr Glück im fernen Südamerika sucht. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Argentinien ein beliebtes Einwanderungsland. Viele italienische Emigranten bauten sich dort eine neue Existenz auf und Dank dieser Emigranten konnte Italien seine Kultur, Sprache und sein "savoir-vivre" in die ganze Welt hinaustragen. Es ist mitunter der Verdienst von italienischen Einwanderern, dass Argentinien heute das ist, was es ist: Die kleine Schwester Italiens bzw. das zweite Mutterland.
In "Oscuramente fuerte es la vida" - so der Originaltitel - lässt Dal Masetto die 1911 geborene und fast achtzigjährige Agata, bei der sicherlich seine Mutter Maria Rosa Cerutti Pate stand, erzählen. Agata vermittelt dem Leser auf bezaubernde Art und Weise ihre konservierten Sinneseindrücke, die Düfte, Geschmäcker und Klänge ihrer italienischen Heimat, die sich trotz der anonymen Gerüche der neuen Welt nicht vermischt und verloren haben. Ihre Erinnerungen "tauchten aus einer Zeit auf, die weit zurückzuliegen schien, und bescherten immer noch dasselbe sanfte Staunen." Dal Masetto hüllt sie in ein literarisches Gewand.
Den im Roman gewählten Ortsnamen Tarni wird man auf einer Landkarte vergeblich suchen. Doch das sofort erkennbare Anagramm und die detaillierten Beschreibungen lassen unschwer Dal Masettos Geburtsort Intra erkennen. Die Ebenen und weiten Horizonte Argentiniens werden durch die herrliche Lage am Borromäischen Golf unterhalb der Hänge der Italienischen Alpen, die den See umrahmen, ausgetauscht.
"Seit wir nach dem Krieg nach Argentinien gekommen sind, denke ich noch immer an jene Landschaft und jene Leute, und ich staune selber darüber, dass ich täglich etwas Neues in meinen Erinnerungen entdecke. Ich verweile bei diesen Erinnerungen, wenn ich allein bin, und hin und wieder erzähle ich meinen Enkeln die eine oder andere Geschichte. Wer in dieser lauten und hektischen Welt lebt, denkt bestimmt, dass es Geschichten aus einem unwirklichen Land sind, Geschichten, die im Nebel einer Zeit verschwunden sind, die ihnen immer fremd sein wird. Für mich hingegen ist es immer so, als wäre alles erst gestern gewesen.", sinniert Agata
Ganz sanft beginnt Dal Masettos Erzählung. Man ist nahezu überrascht von den liebevollen Personen- und ausgeprägten Landschaftsbeschreibungen. Agata erzählt von ihrer Kindheit in ärmlichen Verhältnissen und dem Vater, der nie lachte und sehr schweigsam war, dessen Liebe aber trotzdem spürbar war: "Für mich jedenfalls waren sein Schweigen und sein Verhalten ein Leitbild, das mich nach und nach formte." Sie berichtet von ihrer bettlägerigen Mutter, die früh starb, von den Großeltern ("Meine Großmutter habe ich als kleine und rührige Frau mit krausem Haar und Mittelscheitel in Erinnerung."), von Freunden und Freundschaften.
Agata lässt den Leser an ihren Kinderstreichen, dem verzweifelten Ausbruchversuch aus einem Klosterinternat, in das man sie nach dem Tod der Mutter brachte und an ihrer permanenten, unterschwelligen, schweren und geheimen Last - der Angst - teilhaben. "Ihr gegenüber war ich allein. Und selbst später, als ich größer war, brachte mich diese frühe Beklommenheit, dieses Gefühl von Bedrohung - wenn auch in verwandelter Form - noch genauso aus der Ruhe wie damals."
Und eh man sich versieht, ist aus dem kleinen Mädchen eine junge Frau geworden, die nach dem Tod ihres Vaters im Jahre 1929 ganz allein Haus und Unterhalt bestreiten muss. Man leidet mit ihr, als die erste Liebe, ein Geiger aus dem im Dorf aufspielenden Tanzorchester, nicht mehr auftaucht und nimmt an der langsam wachsenden Zuneigung zu ihrem späteren Ehemann Mario Anteil, freut sich über die Geburt der beiden Kinder Guido und Elsa.
Doch langsam schleicht sich eine unterschwellige Bedrohung in Agatas Leben. Faschismus und später der Zweite Weltkrieg machen auch vor dem scheinbar idyllischen Ort nicht Halt. Die Protagonistin wird nicht von Waffengewalt, Bombenmassaker und nächtlichem Terror verschont. Doch sie hat gelernt, die Veränderlichkeit der Dinge in ihrem Wechselspiel wahrzunehmen, "dass sie immer da sein würden, fest wie ein Anker, und dass sie sich früher oder später wieder verwandeln und lebendige Farben annehmen würden."
Das Buch endet am Morgen der Abreise, dem Aufbruch zu neuen Ufern, der Agata und ihre beiden Kinder wieder mit dem Mann und Vater vereinen wird. Mario war bereits einige Monate früher abgereist, um für seine Familie das neue Heim zu richten. "Es war seltsam festzustellen, wie der Himmel wieder Farbe bekam, dass alles wie gewohnt in Licht getaucht wurde, und dabei zu wissen, dass wir in Kürze unsere Reise antreten würden und all das zurückblieb. Ich versuchte mir jede Einzelheit einzuprägen, vielleicht, um mich später daran zu erinnern, um nicht alles zu verlieren und etwas an diesem Abschiedsmorgen mitzunehmen
Fazit:
Auch wenn in Dal Masettos Roman unterschwellig bereits die Fremdheit und die Verwerfungen, die Auswanderung in einem Menschen auslösen können, zu spüren sind, so sprudelt seine Erzählung größtenteils wie ein klarer Gebirgsbach, "in der Bewegung des Wassers, das unentwegt dahinfloss". "Als wäre alles erst gestern gewesen" ist eine Ode an die Menschen, die seine Mutter umgaben und geprägt haben und eine Erinnerung an ihre Heimat.
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