Cover des Buches Die Verbrannten (ISBN: 9783956140556)
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Rezension zu Die Verbrannten von Antonio Ortuño

"Keiner hat sie gebeten herzukommen..."

von Havers vor 8 Jahren

Rezension

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Haversvor 8 Jahren

Mexiko, ein Paradies für Touristen: blauer Himmel, weiße Strände, strahlender Sonnenschein, Schirmchen-Drinks am Pool und eine Mariachi-Band, die „La Cucaracha“ spielt. So verkaufen zumindest die Touristikunternehmen dieses Land. Die Realität sieht leider anders aus: Mexiko als rechtsfreier Raum, Drogenumschlagplatz, Kartelle, Bandenkriminalität, Korruption - und Durchgangsstation für all diejenigen Flüchtlinge aus Zentralamerika, die auf illegalen Wegen in die Vereinigten Staaten gelangen wollen und dabei Leib und Leben riskieren.

Es gibt zahlreiche Autoren, die den Rassismus und die alltägliche Gewalt in Mexiko beschreiben. Don Winslow, Sam Hawken, Roberto Bolaño, um die Besten zu nennen, die die menschenverachtenden Praktiken in diesem Land unter die Lupe nehmen und literarisch verarbeiten. Und dann ist da natürlich noch Antonio Ortuño, der mit „Die Verbrannten“, seinem vierten Roman, dem bisher einzigen, der in der deutschen Übersetzung vorliegt (sehr gute Arbeit von Nora Haller), dem Leser einen kräftigen Schlag in die Magengrube versetzt.

Es sind vierzig Flüchtlinge, die bei einem Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft im südlichen Mexiko jämmerlich verbrennen. Männer, Frauen und Kinder. Die Toten kümmern eigentlich niemanden, aber um den Schein zu wahren, beauftragt die Nationalkommission für Migration eine kürzlich zugezogene Sozialarbeiterin. Irma, genannt La Negra, verhält sich aber nicht so, wie es von ihr erwartet wird, heißt, sie will nicht beschwichtigen und vertuschen. Nein, sie nimmt ihre Arbeit ernst, denn noch ist sie nicht korrumpiert. Ihr ist an der Aufklärung des feigen Anschlags gelegen, und sie möchte die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Doch in diesem Klima der Repression und Angst ist es schwierig, überlebende Augenzeugen zur Aussage zu bewegen. Aber wie so oft in Lateinamerika sind es die Frauen, die sich nicht mundtot machen lassen. In diesem Fall ist es Yein, eine junge Frau, die auf ihrer Flucht unvorstellbare Grausamkeiten erlebt hat. Sie vertraut sich La Negra an, getrieben von dem unbändigen Verlangen nach Rache und Vergeltung. Und wer kann ihr das verübeln?

Antonio Ortuño bleibt auf Distanz, er schreibt nüchtern. Aber es ist gerade diese kühle Art, die heftige Emotionen bei dem Leser auslöst und die anfängliche Betroffenheit weicht schnell der blanken Wut. Und es stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass Menschen einander diese Grausamkeiten antun. Ignoranz, Rassismus, Gewalt - wie tief muss eine Gesellschaft gesunken sein, die dieses Verhalten duldet, ja sogar fördert?

Ortuño ist mit „Die Verbrannten“ ein hochpolitischer Roman gelungen, der auffordert, Partei zu ergreifen – und zwar nicht nur in Mexiko, sondern auch hier in unserem Land.

Nachdrückliche Leseempfehlung!

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