Antti Tuuri, ein grosser Unbekannter der finnischen Literatur. Wenn man sieht, wie viel der Mann publiziert hat, wie oft seine Werke ausgezeichnet und auch verfilmt wurden, mag man fast nicht glauben, wie wenige dieser Werke in deutscher Sprache greifbar sind. Nun wurde der vorliegende Roman (der übrigens auch verfilmt wurde) in deutscher Übersetzung herausgegeben.
Dies vorab, es ist keine leichte Kost. Es handelt sich um einen Roman in historischem Setting, der auf realen Grundlagen gearbeitet ist. In den 1930er-Jahren war in Finnland die rechtsextreme Lapua-Bewegung aktiv, die Sozialisten bzw. Kommunisten in Privatautos entführte und über die Grenze nach der Sowjetunion schaffte. So ergeht es auch dem Protagonisten unseres Romans, Jussi Ketola, der eines Nachts verschleppt wird. Er hat sich in seiner Zeit in den USA, wo er als Minen- und Bauarbeiter tätig war, mit sozialistischen Ideen befasst und zurück in Finnland entsprechend im Gemeinderat politisiert. Er gibt seinen Entführern an, er habe im finnischen Bürgerkrieg auf derselben Seite wie sie gestanden, d. h. auf der Seite der «Weissen» (jedoch habe er keine Waffen angefasst, sondern habe bloss Leichen transportiert). Die Entführer akzeptieren diese Erklärung nur halbherzig, sehen aber daraufhin davon ab, ihn direkt zu erschiessen, denn – trotz allem – einen Mann, der auf der Seite der «Weissen» gestanden hat, kann man nicht einfach so mir nichts, dir nichts umbringen.
Jenseits der Grenze irrt er eine Zeitlang orientierungslos in der Wildnis umher, bis er mit einer Lungenentzündung von der Polizei aufgegriffen wird. Er lernt zahlreiche weitere Finnen kennen, die früher in Kanada und den USA gearbeitet haben und dann in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Karelien gekommen bzw. gezielt angeworben worden sind. Der Glaube an die Utopie des gerechten Arbeiter- und Bauernstaates ist stark, doch immer wieder erkennt man, dass im Realsozialismus nicht alles so funktioniert, wie man es gerne hätte – und sei es nur die fehlende Butter auf dem Brot oder die nicht gelieferten Dachbleche zur Fertigstellung eines Gebäudes. Doch die Amerikafinnen geniessen anfänglich noch Privilegien und dürfen zum Beispiel in einem speziellen Restaurant essen und in einem speziellen Laden einkaufen. Die ganze Zeit wird Jussi Ketola von der Geheimpolizei GPU und ihrem windigen Funktionär Kallonen überwacht. Ihm werden absurde Vorwürfe gemacht, er sei nur zu Spionagezwecken nach Karelien gekommen und seine ganze Entführung sei inszeniert gewesen. Während die Lapua-Männer ihn für einen Sozialisten gehalten haben, hält man ihn in Karelien ganz im Gegenteil für einen Kapitalisten, einen Kulaken, der in Finnland ein Landgut mit Knechten und Mägden besessen habe. Nicht zuletzt habe er ja im Bürgerkrieg auch auf der Seite der «Weissen» gestanden! Das Kulakentum werde man ihm aber schon austreiben. So kommt er auf einen Kolchos, wo sich die Geschichte in der Folge weiter zuspitzt.
Der Raum einer Rezension reicht nicht aus, um alle absurden Wendungen der Geschichte darzulegen. Immer wieder denkt man sich als Leser, zu welch perversen Handlungen Menschen doch fähig sind, wenn sie von Ideologie verblendet sind, sei dies nun eine extrem linke oder rechte Ideologie.
Die historischen und wohl auch geographischen Zusammenhänge dieses Romans sind in Mitteleuropa weitestgehend unbekannt, das Buch kann aber auch so gelesen werden. In dieser Ausgabe wurde komplett auf erklärende Fussnoten verzichtet, wohl um einen besseren Lesefluss zu ermöglichen. Mit diesem Verzicht kann man gut leben. Unbekannte Orts- oder Personennamen können, falls gewünscht, sehr leicht im Internet recherchiert werden. Danach werden die Zusammenhänge denn auch sofort um einiges klarer.
Was beim Lesen sofort auffällt, ist Tuuris spezieller Erzählstil. Er schreibt alles aus Jussi Ketolas Perspektive in der Ich-Form der Retrospektive und benutzt keine direkte Rede. Sämtliche Dialoge sind in der indirekten Rede geschrieben. Dies erzeugt eine merkwürdige Distanzierung. Selbst bei den schlimmsten Wendungen der Geschichte vermittelt Tuuri die Emotionen nur indirekt, nur zwischen den Zeilen. Man kann das mögen oder auch nicht. Die Geschehnisse im Roman genügen aber absolut, um uns mit Jussi mitfiebern zu lassen. Und welche Kernaussage, welches Fazit der Autor vermitteln will, scheint klar, ohne dass er es explizit ausspricht.