Cover des Buches Der Fremde in uns (ISBN: 9783423351614)
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Rezension zu Der Fremde in uns von Arno Gruen

Rezension zu "Der Fremde in uns" von Arno Gruen

von Clari vor 14 Jahren

Rezension

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Clarivor 14 Jahren
"Der Fremde in uns, das ist der uns eigene Teil, der uns abhanden kam und den wir Zeit unseres Lebens, jeder auf seine Weise, wiederzufinden versuchen",und : "ich möchte Mut machen, sich immer wieder dem Herzen zu widmen".Mit diesem Bekenntnis beginnt Arno Gruen sein Buch über " Der Fremde in uns". Es gibt eine Grundthese, die ihn bei seiner Suche leitet: verkürzt gesagt beinhaltet diese These, daß die schwache Mutter das Kind nicht vor dem starken, oftmals grausamen und autoritären Vater zu schützen versteht. Daß sie sich in Ängstlichkeit dem zu schützenden Kind verbündet, und das Kind für eigene Zwecke der Liebesbedürftigkeit mißbraucht. So kann das Kind nicht mit seinen eigenen vorhandenen Teilen wachsen, sondern muß Substitut für die Mutter sein. Gleichzeitig identifiziert sich das Kind mit dem Aggressor(Vater), dem es gehorchen gelernt hat. Aus der Identifikation mit dem Aggressor heraus wird das Verachtenswerte, die Schwäche, abgespalten und auf einen äußeren Feind gerichtet, --weil der Mensch sonst innerlich absterben würde. Im Hass gegen die schwache Mutter, mit der das Kind gleichzeitig Loyalität zu praktizieren hat, und Gehorsam gegen den prügelnden Vater, entsteht eine Art Loyalitätsspaltung, bei der das Kind niemandem, am wenigsten sich selbst, gerecht werden kann. So wird der entstandene Hass, der sich gegen das Selbst richtet, nach außen auf einen imaginären Feind projiziert, der in vielerlei Gestalt auftauchen kann: als Jude, als Andersgläubiger , in Gestalt von Zigeunern, Ausländern, meist osteuropäischer Abstammung, und nicht zuletzt im politischen Gegner. Es ist also der Selbsthaß, der sich als Projektion auf den äußeren Feind richtet. Was fehle, so meint Gruen, sei die Güte und Liebe zum Kind um seiner selbst willen, so daß das Kind in Schmerz und Leid alleine gelassen wird. Diese These handelt A. Gruen an vielen Beispielen aus seinen Therapien in der Praxis als Psychoanalytiker ab. Er zieht Berichte und Zitate über Hitler und aus dessen Umfeld hinzu, um seine These von allen Seiten zu beleuchten, zu untermauern und zu festigen. Eine Vielzahl von Studienergebnissen komplettiert das Bild dieser für mich sehr monokausalen Begründungskette für die Erscheinungen von Terror, Kampf, Unterdrückung und Gefolgschaft in Diktaturen.Demokratien sind nach Gruen nur in aufgeklärten und emanzipierten Gesellschaften möglich. Ich meinerseits glaube, daß diese These zu einseitig und verkürzt in seiner Darstellung ist. Mit Berufung auf S. Freud kritisiert Gruen dessen Vorstellung, daß der Mensch erst durch Erziehung, d.h. das Erlernen von Triebverzicht, zu kulturellen Leistungen und zivilisatorischem Verhalten befähigt wird. Gruen seinerseits bedeutet uns, nur Liebe und Bestätigung gegenüber dem Kind könne dieses vor Verdrängung und introjizierter Hassbeziehung zu sich selber schützen. Dieser Verzicht würde nach meiner Einschätzung einer Absage an Erziehung gleichkommen. Hundert Jahre nach S. Freud sind dessen Thesen auch heute noch gültig,--mit Einschränkungen. Die Weitertentwicklung psychotherapeutischer Ansätze geht in eine Richtung, die soziale und verhaltenstheoretische Komponenten zur Persönlichkeitsentwicklung mit berücksichtigen. Psychoanalytiker aus der Richtung um Freud umkreisen in erster Linie die enge Kleinfamilie als Zelle krankmachender Ursachen bei der Behandlung ihrer Patienten. Ich halte diese Einseitigkeit für falsch. So fehlt mir trotz vieler Literaturhinweise auf Soziologen, Historiker und anderer Literaturquellen ein weitergefächertes Spektrum zur Begründung von Hass, Folter, Grausamkeit, Unterdrückung und der Faszination des Bösen für den in vielen Formen sich wiederholenden Völkermord. Ich halte das Buch ungeachtet meiner Einwendungen als Anregung zum Nachdenken über die Ursachen grausamer Schandtaten von Menschen gegen Menschen für wichtig und gut.
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