Rezension zu "Wie man Kinderbilder nicht betrachten soll" von Arno Stern
Noch bevor kleine Kinder beginnen, die Wörter und den Reichtum der Sprache zu entdecken, beginnen sie, wenn man ihnen die entsprechenden Materialien zur Verfügung stellt, zu malen. Bilder entstehen da, mit denen die eifrigen und ehrgeizigen Erwachsene nichts anfangen können, und deshalb gleich daran heruminterpretieren oder gar die Bilder bewerten.
Der 1924 geborene Arno Stern ist der Begründer des sogenannten Malorts, eines geschützten Raumes, in dem Kinder frei von jeder (kunsterzieherischen) Erwartung ihre Spuren auf dem Papier ziehen können. In langen Jahren der Arbeit mit Kindern hat er festgestellt, dass die Kinder ihre Bilder aus den gleichen eigentümlichen Figuren zusammensetzen. Auf vielen Forschungsreisen in z.T sehr abgelegene Teile der Welt fand er bei pädagogisch völlig unbeeinflussten Kindern die gleichen Gebilde in der gleichen Reihenfolge. Er nannte dieses Phänomen „Formulation“, ein zeichnerisches Gefüge, das allen Menschen wie eine Art genetisches Programm innewohnt.
Es sind pränatale, perinatale und frühkindliche Erinnerungen und Eindrücke, die die Kinder da in ihren Bildern verarbeiten. Mit dieser Auffassung stand Arno Stern viele Jahrzehnte gegen die herrschende wissenschaftliche Meinung. Doch seit einiger Zeit haben neue Forschungen und Erkenntnisse aus der Epigenetik, der Hirnforschung und der Embryologie Sterns Erkenntnisse bestätigt.
Das vorliegende Buch ist eine mit vielen farbigen Beispielen versehene Einführung in seine Methode, eine konsequente Absage an jede Kunsterziehung, Es ist deshalb nicht nur für Eltern, sondern für alle Menschen, die in Kindergarten, Schule oder Therapie mit Kindern und deren Bildern arbeiten eine wichtige Korrektur bisheriger Auffassungen und Praxis.
Und so wie das Kind laut Stern in seinem ureigenen Tempo mit Pinsel und Farbe umgehen soll, so soll auch sein weiteres Aufwachsen frei sein, jenseits von erzieherischer Kontrolle und ständiger Beobachtung.