Liebe Daffy,
ob du es glaubst oder nicht – und nach meinen letzten beiden Briefen über Lizzy und Rosaly, glaubst du es wohl eher nicht – habe ich mich dazu entschlossen, Ashley Gilmore noch eine Chance zu geben. Dieses Mal habe ich nicht der Reihenfolge nach entschieden, sondern mir den fünften Band ihrer Prinzessinnenreihe geholt: Tania. Rapunzels Tochter. Wie auch die anderen Bücher ist dieses im Selfpublishing erschienen, wobei ich wieder kein Jahr ausmachen konnte. Ich kann diesen Brief nicht ohne Spoiler schreiben. Wenn du die Reihe erst kennen lernen möchtest, schau dir bitte meinen Brief zu dem Buch über Lizzy an.
Ausgangslage der Geschichte
Ashley Gilmore hat sich die Prinzessinnen des Disneyuniversums geschnappt und Fanfictions rund um deren Töchter gesponnen. Nach dem Abschluss der „Crown School“ müssen sie das Märchenland verlassen und ein sechsmonatiges Praktikum – ein „Magical“ – in der realen Welt absolvieren. Am Ende stellt sich die Frage, ob sie nach „Fairyland“ zurückkehren oder ihren Traumprinzen in unserer Welt gefunden haben und bleiben.
Inhalt
Tania kann wunderschön singen. So schön, dass ganz „Fairyland“ den Atem anhält, wenn sie auftritt. Da kommt es doch mehr als gelegen, dass sie ihr „Magical“ in Nashville verbringen wird. Hier wird Countrymusik groß geschrieben und Tania bekommt gleich eine Anstellung als Barsängerin.
Handlung
Du wirst dich nun fragen, was das für eine komische Inhaltsangabe war. Ich habe versucht, so wenig wie möglich zu sagen und doch ausreichend, damit du einen Überblick über die Geschichte kriegen könntest. Ashley Gilmore lässt ihren Geschichten nämlich nicht unbedingt viel Raum zur Entwicklung. Auch diese Geschichte umfasst gerade einmal 150 Seiten. Bis Seite 37 befinden wir uns noch in „Fairyland“, Tania bekommt ihren „Magical“-Ort mitgeteilt, wir lernen, dass ihre beste Freundin die Tochter von Arielle ist und dass sie sehr gut singen kann. Auch ihre Eltern lernen wir kennen, doch dazu später mehr.
Das Ankommen in Nashville und ein Etablieren der Geschichte erfolgt auf den Seiten 41 bis 98. Danach machen wir einen Sprung auf einen späteren Zeitpunkt (S.101-147), um dann mit einem Epilog zu enden, welcher wieder einen Zeitsprung darstellt.
Warum erläutere ich das so ausführlich? Weil die LeserInnen sehr viel glauben sollen, was Ashley Gilmore behauptet. Wir bekommen von der Entwicklung nichts mit. Die Zeitsprünge müssen als Legitimation der behaupteten Umstände herhalten. Ich habe große Probleme damit, Sympathien für die Geschichte und die Charaktere zu entwickeln, wenn ich sie gar nicht kennen lernen darf.
Auch innerhalb dessen gibt es Handlungsstränge, die mir nicht nachvollziehbar erschienen.
Rapunzel erzählt ihrer Tochter, dass sie bei ihrer Geburt verflucht wurde. (S.35) Küsst sie den „falschen“ Mann, würde sie ihre Singstimme verlieren. Klingt das für dich auch wie ein Zusammenprall von
Dornröschen und Arielle? Es erschließt sich mir nicht, warum dieses Element in einer Rapunzel-Geschichte Eingang finden musste.
Die Prinzessinnen haben die Aufgabe, den Glauben an das Gute und die Alltagsmagie in der realen Welt wieder hervorzubringen. Davon spürt man in dieser Geschichte gar nichts. Lizzy hatte Geschichten erzählt und Rosaly Hochzeiten arrangiert, um Positivität in die Welt zu tragen. Tania singt nur...also theoretisch. Wir sehen sie nicht auftreten und Gutes in der Welt mit ihrer Stimme bewirken. Sie singt am Lagerfeuer mit einer Familie oder hat einen Auftritt in der Bar, doch bis auf eine Beweihräucherung Tanias, weil sie so toll ist, passiert nichts, um den Glauben an Märchen in den Menschen zu verankern. Sie singt so klasse, dass alle sabbern und soll sich noch sexy Kleidung zulegen (S.77) – das bringt also den Glauben an das Märchenhafte?
Zurück zu der Sache mit dem Kuss der wahren Liebe. Tania küsst tatsächlich einen Mann, der nicht ihr Märchenprinz ist und verliert ihre Stimme. Doch das Problem ist schnell gelöst und sie küsst den Jungen, den sie von Anfang an als ihren Bruder/ besten Freund angesehen hat und siehe da, er ist der Richtige. Tania hat doch aber nie romantische Gefühle für ihn entwickelt?! Nun ja, wir sind nun aber schon auf Seite 146 und die letzte Seite naht. Er ist der Mann ihrer Träume und folgt ihr ins Märchenland, wo sie sicher bis zum Ende ihrer Tage leben werden. Er hat seine Familie verlassen und sie an erste Stelle gesetzt. Hoffentlich ist sich Tania dessen bewusst und sie verhält sich ihm gegenüber angemessen, denn verliebt hat sie sich ja nie in ihn und es wirkt nun leicht wie eine Zwangshochzeit.
Figuren
Damit komme ich auch direkt zu einem Punkt, der mich sehr beschäftigt hat: Die Figuren. Ich habe sie schon ein wenig umrissen und du wirst meine Antipathie gespürt haben. In meinen vorherigen Briefen schrieb ich schon von meiner Überraschung, wie schwach ich die Eltern dargestellt fand. Auch hier konnte ich nur dasselbe feststellen. Dabei habe ich mich die ganze Zeit gefragt, ob ich wirklich eine Fanfiction über die Disney-Prinzessinnen lese.
Bei Cinderella und Prinz Charming ist das vielleicht noch nicht ganz eindeutig zuzuordnen. Doch der Mann von Dornröschen hieß Philipp (sic!), was eindeutig auf den Disneyfilm zurück geht. Zusätzlich dazu sei gesagt, dass Tania immer Lieder aus Disneyfilmen singt (z.B. „Someday My Prince will come“, S.31). Somit haben wir es hier mit Rapunzel und Flynn/ Eugene zu tun. Wer den Film aus dem Jahr 2010 gesehen hat, weiß, dass dieses Paar energetisch, lustig und teilweise furchtlos ist. Ashley Gilmores Rapunzel ist nur am Heulen und Jammern. (S.32ff.) Diese doch sehr auseinander driftende Darstellung dürfte vielleicht auch erklären, warum Tania so ganz anders ist, als Disneys Rapunzel.
Wenn ich spekulieren darf und meine eigene Fanfiction entwickele, würde ich sagen, dass diese ihr Kind niemals zu Überheblichkeit und dem Drang zu Luxus und Vorurteilen erziehen würde. Ihr Ehemann ist ein gesuchter Dieb, der in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, sie selbst eine gekidnappte Prinzessin, die von einer bösen Hexe aufgezogen und jahrelang belogen wurde. Sie ist trotz allem nicht abwertend, als sie mit einer Runde Verbrechern singt und tanzt, sondern akzeptiert jeden wie er ist. Das war mein kleiner Ausflug in den Disneyfilm, damit du verstehst, warum ich von Tania so schockiert war.
Sie benimmt sich wie eine verzogene Göre und ist jeder Situation gegenüber überheblich. Sie ist auf die Hilfe einer Familie angewiesen und ihre größte Sorge ist, ob ihr Makeup verschmiert ist (S. 46), sie bekommt von einer Fremden Kleidung angeboten, weil ihre durchnässt ist und sie empfindet sie als hässlich und unangebracht („Herrje. Ich sehe furchtbar aus“, S. 53) und das Zimmer, das man ihr vermietet, ist nicht luxuriös genug (S.78). So zieht es sich durch die ganze Geschichte. Nichts ist gut genug für Tania. Ihr vermeintlicher Traumprinz wird nicht nach Charakter, sondern aufgrund seines Aussehens, seines Vermögens und der Geschenke, die er ihr macht, als angemessen erachtet (S. 105).
Es hat sich mir die Frage gestellt, ob Ashley Gilmore absichtlich so einen Gegensatz zu der Rapunzel von Disney schaffen wollte. Wenn ja, ist das doch vollkommen in Ordnung. Kinder sind nicht zwangsläufig wie ihre Eltern. Doch da uns hier leider eine Erklärung fehlt und diese Rapunzel ja nur am Jammern ist, glaube ich nicht, dass es ein gelungener Clou war.
Überhaupt leidet das Frauenbild in diesem Buch ganz massiv unter einer eher altmodischen Einstellung. Als Beispiel würde wohl der folgende Satz alles zusammenfassen: „Als sie alle fertig waren, stellte der Herr des Hauses sich an die Spüle und wusch das Geschirr. Tania wunderte sich, warum die Frau diese Arbeit nicht übernahm.“ (S. 56)
Außerdem wird das Thema Magerwahn als selbstverständlich hingestellt. Tania bestellt sich ein Steak und auf die Frage, ob sie Kartoffeln dabei haben möchte, antwortet sie: „Nein danke. Bloß keine Kohlenhydrate, sonst passe ich nicht mehr in meine Kleider rein. Ein kleiner Salat reicht.“ (S. 101)
Schreibstil
Ich sollte noch etwas zum Schreibstil sagen, obwohl ich in Punkto Handlungsaufbau schon ein wenig darauf zu sprechen kam. Ashley Gilmore lässt ihren Figuren keinen Platz für Entfaltung. Das mag ganz sicher dem strengen Regiment der Kürze geschuldet sein. Doch es gibt durchaus Kurzgeschichten, die es schaffen, so viel Tiefe zu schaffen, dass man völlig vergisst, keinen ganzen Roman vor sich zu haben. Ich muss leider gestehen, dass ich mich nur schwerlich durch den Schreibstil gehangelt habe. Das liegt an einer eher unausgereiften Handlung und Charakterentwicklung, aber auch an der plakativen Art zu schreiben, wie ein Beispiel auf Seite 96 zeigt:
„Sie war einfach nicht die Richtige. Und ich will mich jetzt voll und ganz auf die Musik konzentrieren.“
„Gut, Tommy. Wir beide werden ganz groß rauskommen.“
„Das werden wir. Gute Nacht, Tania.“
Ich glaube, Ashley Gilmore möchte in einem märchenhaften Stil schreiben, weshalb sie auch die Redewendungen „Liebste Freundin“ (S. 24) oder „Gute Rapunzel“ (S. 32) benutzt, doch der oben gezeigte Dialog hat wenig märchenhaftes an sich, sondern ist eher stockend geschrieben, so als würden sich Roboter unterhalten.
Fazit
Dieser Brief ist nicht gerade positiv geworden und das, obwohl es um ein Buch geht, in dem der Glaube an das Gute zurück in die Welt gebracht soll. Ich hatte den Glauben daran, Ashley Gilmore und ihrer schönen Idee, Fanfictions über Disney-Prinzessinnen zu schreiben, eine weitere Chance zu geben. Bei dem fünften Buch in dieser Reihe hätte ich eine Entwicklung in Schreibstil und Handlung erwartet und keinen Rückschritt. Leider ist genau das eingetreten. Der Schreibstil ist unverändert, doch was die Handlung betrifft, hat sich die Autorin keinen Gefallen getan. Ihr eigenes Ziel, dass die Prinzessinnen die Märchen in die reale Welt bringen, wird hier gar nicht aufgegriffen und die Figur ist unsympathisch, wenig prinzessinnenhaft, eher eine verwöhnte Traumtänzerin.
Damit ist für mich an dieser Stelle endgültig Schluss mit dieser Reihe. Ich weiß auch nicht, wem ich es tatsächlich empfehlen würde. Das Frauenbild, der Magerwahn und die unausgereifte Handlung sind nichts, was ich einem jüngeren Publikum vorsetzen würde. Doch der Schreibstil ist nicht elaboriert genug, als dass ein/e erfahrene/r Leser/in Freude mit dieser Geschichte haben könnte. Da würde ich am Ehesten noch den Teil über Rosaly empfehlen, wenn dich das Prinzip der Töchter von Disney-Prinzessinnen interessiert. Wenn du allgemein auf Prinzessinnengeschichten stehst, wirf doch mal einen Blick in meine anderen Briefe. Ich lese sehr gern Bücher mit königlichen Figuren und da findest du vielleicht eine Empfehlung für dich.
Deine Daisy