Aslı Erdoğan

 4,1 Sterne bei 15 Bewertungen

Lebenslauf

Ein Zeichen für den Frieden und die Freiheit: Aslı Erdoğan wurde 1967 in Istanbul geboren und schrieb schon in ihrer Kindheit Gedichte und Kurzgeschichten. Ihren ersten Text veröffentlichte sie ihm Alter von nur zehn Jahren in einer Zeitschrift. Sie studierte Informatik und Physik an der Bosporus-Universität und schloss 1988 mit einem Bachelor in Informatik ab. Während ihres Studiums wand sie sich verstärkt dem Schreiben zu. 1990 veröffentlichte sie ihre erste Novelle, mit der sie den dritten Platz beim Yunus-Nadi-Preis gewann. Jedoch konzentrierte sie sich zunächst hauptsächlich auf ihre Arbeit als Wissenschaftlerin, sie arbeitete an ihrer Universität an der Fakultät für Physik. Während sie 1993 in Genf ihre Masterarbeit schrieb, verfasste sie ihren ersten Roman, Mucizevi Mandarin (dt.: „Der wundersame Mandarin“), der 1996 veröffentlicht wurde. Im selben Jahr wandte sie sich voll und ganz dem Schreiben zu. Ihr Durchbruch gelang ihr mit ihrem dritten Buch, „Die Stadt mit der roten Pelerine“. Bis heute wurden Aslı Erdoğans Romane in über 20 Sprachen übersetzt und die Autorin mit diversen Preisen ausgezeichnet. So wurden ihr beispielsweise der Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis und der Prix Simone de Beauvoir verliehen. Aslı Erdoğan setzt sich für die kurdische Minderheit in der Türkei ein und wurde 2016 nach dem gescheiterten Militärputsch verhaftet. Heute lebt sie im Exil in Deutschland.

Alle Bücher von Aslı Erdoğan

Cover des Buches Das Haus aus Stein (ISBN: 9783328600763)

Das Haus aus Stein

 (6)
Erschienen am 18.03.2019
Cover des Buches Die Stadt mit der roten Pelerine (ISBN: 9783293208193)

Die Stadt mit der roten Pelerine

 (4)
Erschienen am 16.07.2018
Cover des Buches Requiem für eine verlorene Stadt (ISBN: 9783328602521)

Requiem für eine verlorene Stadt

 (0)
Erschienen am 26.10.2022

Videos zum Autor

Neue Rezensionen zu Aslı Erdoğan

Cover des Buches Die Stadt mit der roten Pelerine (ISBN: 9783293208193)
A

Rezension zu "Die Stadt mit der roten Pelerine" von Aslı Erdoğan

Jeder Mensch lebt in einem Käfig
Almut_Scheller_Mahmoudvor 4 Jahren


Rio – für die meisten von uns wohl ein Sehnsuchtsort, ein Synonym für tropische Gefilde, für Lebenslust und karnevaleske Lebensbuntheit, für mitreißende Sambarhythmen. 

Dort zu leben, in einer Art freigewähltem Exil, zeigt andere Facetten auf, zumindest für die Protagonistin Özgür, die uns in diesem „Roman im Roman“ an ihren eigenen, ganz persönlichen Wahrnehmungen und  Erfahrungen mit der erschriebenen, beschriebenen Ö. als ihr Alter ego, teilhaben lässt.

Özgür, deren Name die Freie, die Unabhängige bedeutet, kommt aus Istanbul, einem anderen Sehnsuchtsort, nach Rio, um hier an der Universität zu arbeiten. Sie verliert ihren Job und sie verliert sich selbst. Sie verliert das sie bisher stützende Korsett der eigenen Kultur und der eigenen Sprache. Sie verliert sich in diesem Labyrinth eines Molochs, der von Gewalt und Grausamkeit beherrscht wird, diesem Reigen des Todes. 

Aber sie gewinnt auch den Freibrief, das Trikot der überlieferten Verhaltensregeln abzustreifen, ihre bisher verschütteten, ihr unbe-wussten Triebe voll auszuleben: die Freiheit zu tanzen, zu rauchen, sich freizügist zu kleiden, Sex zu haben wann und wo mit wem immer sie es will.

Sie musste über Rio schreiben, obwohl die Stadt sie erdrückte, bedrückte, ihr heimtückisch und gnadenlos ihr eigenes Ich im Spiegel zeigte und so begann sie, in ein dickes hellgrünes Heft, das sie „Die Stadt der roten Pelerine“ taufte, zu schreiben. Die Geschichte, die Gedanken, die Wahrnehmungen der Ö. 

Die Einsamkeit, die Isolation und der Tod sind die Eckpfeiler ihrer Erfahrungen, die der Özgür und die der Ö. Die Einsamkeit, die aus allen Poren des Romans tropft. Die Einsamkeit mitten in dieser janusköpfigen, zügellosen Stadt, die verschiedene Gesichter und Masken trägt, die Einsamkeit mitten unter diesen triebhaften Menschen, deren Körperhaftigkeit und Sexualität etwas Maßloses haben, als ob der Körper das Maß aller Dinge sei. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Die Überbewertung, die narzisstische Präsentation des eigenen Körpers, die pralle Präsenz der Körper – wo hat es seine Wurzeln? Ist es eine Camouflage für die erlittenen physischen und psychischen Demütigungen der Peitschenhiebe durch die Sklaven-halter? Ein Aufschrei: und ich lebe noch? 

Özgür versinkt in sich selbst, lebt immer mehr in einem Kokon und kann sich nur durch das Schreiben retten. Immer tiefer verstrickt sie sich in Selbstaufgabe, Selbstentblößung und Selbstzerfleischung. Ist zugleich fasziniert und abgestoßen von dem Gesetz des Dschungels, des alles saftig überwuchernden, grünen mit seinen Krabbel-, Flügel- und Kriechtieren und des menschlichen mit seinen Obdachlosen, Prostituierten, Drogendealern, Bettlern und Straßenkindern. Hasst die Grausamkeit und die Ungerechtigkeit des sie umgebenden Lebens der 600 Favelas und fühlt sich doch hingezogen zu diesem Karussell des Lebens und des Todes. Eine Amour fou.


Asli Erdogan spielt bewundernswert auf der Klaviatur der Zustands-beschreibungen einer blassen, “zeitungsfarbenen”, fast schmächtigen Gringa, die zwar ihren Körper entdeckt, aber den psychischen Herausforderungen nicht gewachsen ist. Die von anderen Gestaden kommt, den mediterranen, levantinischen Gestaden mit einer so ganz anderen Geschichte und Kultur. Mit einem milderen Licht und mit vier Jahreszeiten.  Sie beschreibt die Fremdheit des Exils, des Dazuge-hörenwollens und doch wissend: niemals. 

Die einzelnen Persönlichkeiten, die in Özgürs Leben auftauchen, wirken wie Schachfiguren im großen Lebensspiel. Da taucht auch die Frage nach der Psyche einer Stadt auf: dem Innen und dem Außen. 

Und ihr Tod als Ende scheint mir das einzig logische Ende. Sie stirbt durch eine verirrte Kugel der „Feuerwerker“ aus den Favelas, lautlos, schmerzlos, einsam im Straßengraben liegend wie so viele andere Tote, die sie gesehen hatte; sich an ihre alte Tasche mit ihren einzigen Habseligkeiten klammernd, mit ihrem hellgrünen Notizheft „Die Stadt der roten Pelerine“.

Man fühlt sich bei der Lektüre regelrecht aufgesogen in den Strudel der Farbenprächtigkeit des Lebens und der Tristesse des überall anwe-senden Todes. Und man fragt sich, auf die sich wiederholende Symbolik des Vogels in seinem Käfig eingehend: Was ist unser Käfig?

Zum Abschluss: Ich ist ein Anderer. Dieser kurze Text von Rimbaud passt wie maßgeschneidert auf die Seelenzustände der Özgur und der Ö.“Ich sage, man muss Seher sein, sich zum Seher machen. Der Dichter macht sich zum Seher durch eine lange ungeheure und wohlüberlegte Entregelung aller Sinne. Alle Formen der Liebe, der Leiden, des Wahnsinns; er sucht selber, er erschöpft in sich alle Gifte, um nur deren Quintessenzen zu bewahren.“


I




Cover des Buches Das Haus aus Stein (ISBN: 9783328600763)
miro76s avatar

Rezension zu "Das Haus aus Stein" von Aslı Erdoğan

Das Ich verliert sich zwischen den Steinen
miro76vor 4 Jahren

Asli Erdogan ist eine der vielen Intellektuellen, die nach dem Putschversuch 2016 in Istanbul festgenommen wurde. Der Prozess verzögerte sich ins unendlich und sie wurde 132 Tage lang festgehalten. Im Exil in Deutschland schrieb sie das Vorwort zu diesem Roman, der bereits 2009 in der Türkei erschienen war. Damit hat sie ihre Erlebnisse fast vorweggenommen.

In Haus aus Stein beschreibt sie, wie sich die Seele langsam zersetzt in den Mauern des Gefängnisses. Der Körper kann mehr ertragen, wie die Seele verarbeiten kann. Das Ich beginnt sich aufzulösen und ist schwer wieder zusammenzusetzen nach der Haft. 

Asli Erdogan schreibt sehr eindringlich. Ihre Sprache ist kraftvoll, ihre Sätze tragen schwer. Dennoch konnte sie mich nicht wirklich erreichen. Für meinen Geschmack ist das Buch zu lyrisch. Die Metaphern sind mir zu abgehoben und das Stilmittel der Wiederholung konnte mich leider nicht beeindrucken, sondern begann mich eher zu nerven. 

Es fällt mir schwer, dieses Buch zu kritisieren, denn ich möchte auf keinen Fall respektlos gegenüber der Autorin sein. Sie hat meine vollste Bewunderung für den Mut, ihr Schicksal zu teilen und weiterzukämpfen und ich hoffe, dieses Buch findet noch viele Leser, die diese lyrische Sprache besser erreicht.

Cover des Buches Das Haus aus Stein (ISBN: 9783328600763)
jenvo82s avatar

Rezension zu "Das Haus aus Stein" von Aslı Erdoğan

Alle Straßen gehörten ihm, doch er ging nirgendwo hin
jenvo82vor 4 Jahren

„Ich war in ein endloses, einziges Jetzt gepfercht, sein Stundenzeiger war abgefallen und sein Minutenzeiger drehte sich sinnlos im Kreis. Die Stunden waren blutig gepeitscht worden und vermochten ihre schwere Last nicht mehr zu tragen, keinen Schritt mehr vor und zurück zu tun, die Zeit nicht mehr von der Stelle zu bewegen.“

Inhalt

Wen es einmal in das Haus aus Stein verschlägt, der kommt nicht mehr zurück in die Welt der Unbedarften, der Optimisten, der Menschen, die nach jedem schlechten Tag einen neuen, besseren erwarten. Denn sämtliche Vorstellungen von einer Sinnhaftigkeit und einer tieferen Bedeutung des eigenen Lebens werden nach und nach ausgelöscht. Bei jedem, der die Mauern des Gefängnisses von innen gesehen hat und irgendwann die Mauern desselben Gebäudes von außen, gibt es keine Hoffnung mehr. Der Körper, die Hülle ist noch da, der Inhalt aber unwiederbringlich zerstört. Alles wird seltsam unbedeutend, Neuanfänge scheinen sinnlos und auch die Hoffnung wieder so zu werden, wie man einmal war, ist zwischen den grauen Mauern versickert …

Meinung

So klein und unscheinbar dieser Roman aus der Feder der türkischen Autorin Asli Erdoğan auch ist, so zentnerschwer und bedrückend wirkt sein Inhalt. Es ist ein tiefsinniger, umwälzender Roman, der weder gefallen möchte, noch restloses Verständnis erzwingt, vielmehr initiiert er weitreichende Gedankengänge des Lesers, der hier einen wunderbar anspruchsvollen, literarischen Text in den Händen hält, dem man sich aus diversen Perspektiven nähern kann.

 Die Bewältigung eines Gefängnisaufenthalts ist einerseits sehr generalistisch und nachvollziehbar beschrieben und greift doch, sobald man die Vorgeschichte der Autorin kennt und das Nachwort gelesen hat, ganz persönlich in das Leben der Beteiligten ein. Interessant auch der Aspekt der Schuld bzw. Nichtschuld der Gefangenen. Denn seltsamerweise kommt diese Erzählung ganz ohne die Begriffe des Rechts oder Unrechts aus.

 Es geht auch nicht darum, etwas zu erklären und es schönzureden, nein vielmehr konzentriert sich der Inhalt auf die Zersetzung des menschlichen Glaubens an irgendetwas, an einen Gott, an einen Menschen oder auch an das System – nur durch die Schilderung einer unbestimmten Abfolge der stets gleichen Sinnlosigkeit und Lethargie – begrenzt durch Mauern aus Stein.

 Dennoch wird deutlich, wie die Gefangenen behandelt werden, das Folter als eine der vielen grausamen menschlichen Methoden angewandt wird, um die Insassen zu brechen. Und letztlich zielt der Inhalt vor allem auf den Schaden ab, den die Seele erleidet, ganz egal, was der Körper aushalten kann oder nicht.

Für diesen Roman muss man sich Zeit nehmen, er zwingt dazu aufmerksam zu lesen, gerade weil er kein klassischer Unterhaltungsroman ist, sondern eher eine philosophische Auseinandersetzung mit der Thematik und außerdem entwirft er so zahlreiche sprachliche Bilder, dass man geradezu aufgefordert wird, den Text reflektierend zu betrachten. Auch ein mündlicher Austausch über das Gelesene bietet sich hier an und ich könnte mir gut vorstellen, eine derartige Lektüre in einem Lesekreis aufzugreifen und sie in der Gruppe zu besprechen.

Fazit

Ich vergebe hochachtungsvolle 4 Lesesterne, für diesen weder leichten noch herkömmlichen Text, der intensiv und reflektierend das Unausgesprochene benennt und die Emotionen des Lesers wachrüttelt. Der ungewöhnliche Aufbau und die Fähigkeit sowohl distanziert als auch betroffen zu wirken und dem Text durch Wiederholungen, Metaphern und Leerstellen eine derartige erzählerische Dichte zukommen zu lassen, hat mir ausgesprochen gut gefallen. Sicherlich kein Buch für jedermann und irgendwie auch sehr speziell. Doch wenn man etwas sucht, was so direkt nicht zu beschreiben ist, wenn man auf die Grundsätze des menschlichen Daseins zurückgeführt werden möchte, dann sollte man unbedingt zu diesem Buch greifen. Ein Roman, der nachhallt und das Prädikat „besonders“ verdient.


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Zusätzliche Informationen

Aslı Erdoğan wurde am 08. März 1967 in Istanbul (Türkei) geboren.

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auf 12 Merkzettel

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