Als hätte Gillian Flynn die Desperate Housewives ersonnen
von WolfgangB
Kurzmeinung: Robin Hood-Motivik, Suburbia und ein Hauch von Gone Girl - das sind die Zutaten für ein Hochklasse-Verwirrspiel
Rezension
Gedanken des Rezensenten
In überwiegend kurzen, dabei stets ein gemäßigtes Erzähltempo wahrenden Kapiteln, spielt die Handlung auf zwei zeitlichen Ebenen. Einerseits werden in einer ein Jahr zurückliegenden Vergangenheit die Ereignisse ab der Herzoperation der Hauptprotagonistin Alma, andererseits deren Konsequenzen in der erzählten Gegenwart geschildert. Bewußt wird abhängig von der Perspektive mit dem Erzähltempus varriiert. Aus der Sicht der Ich-Erzählerin wird das gewohnte Präteritum verwendet, wohingegen das Präsens in den Passagen, die außerhalb ihrer Wahrnehmung handeln, zum Einsatz kommt. Dadurch wirken diese durch die Nüchternheit der Sprache exponiert, die scheinbare Objektivität eines Zeitungsartikels suchend.
Bereits der Auftakt des Romans erweist sich als symboträchtig und intensiv: Die fürsorgliche Mutter namens Alma - latein für "die Nährende" - stellt fest, daß sie sich über die Zeit von ihrem Mann Paul entfremdet hat und muß sich einer riskanten Herzoperation unterziehen. Anläßlich dieser durch das im übertragenen Sinne gebrochene Herz erlittenen Zäsur entschließt sie sich zu einer Veränderung in ihrem Leben. Die konsequente Erzählung in der ersten Person entbindet dabei die Autorin von der Notwendigkeit zur verbalen Zurückhaltung. Die Sätze sprudeln, durchtränkt von Gefühlen aus der Figur hervor, wirken bemerkenswert spontan und stellen somit ein Mosaik aus Momentaufnahmen dar, das den Leser sofort mitten in Almas Welt reißt.
Einmal mehr stellt Astrid Korten ihr beängstigendes Talent unter Beweis, mit dem sie kühl berechnende Rächerinnen zum Leben erweckt. Bereits in "Tödliche Perfektion" trägt eine Figur den Namen der Nymphe Charis, die in der Mythologie als die Beschützerin der Schönheit auftritt. Diesem Vorbild entsprechend, erachtet es die junge Frau als ihre Aufgabe, erlittenes Unrecht durch gewissenloses Morden zu vergelten. Entlang eines Motivs, das an "Club der Teufelinnen" von Olivia Goldsmith erinnert, agiert Hauptfigur Alma nun mit einer Gruppe Gleichgesinnter, die sie in einem Internet-Chatroom, der Agora des 21. Jahrhunderts kennenlernt.
Im Gegensatz zu "Tödliche Perfektion" und den andere Romanen der Autorin präsentiert sich "Eiskalter Plan" jedoch weniger explizit, weitaus zurückhaltender in der Darstellung von Gewalt. Stattdessen ist eine deutliche Entwicklung in der psychologischen Nuancierung, der Erzeugung des subtilen Grauens erkennbar. Erscheint den vier Frauen die Rache an Gewalttätern zunächst als ein Gedankenspiel, fallen sukzessive ihre Hemmungen, die Pläne auch in die Tat umzusetzen. Einander in der Rechtschaffenheit der Absichten bestärkend, steigt langsam und anhand stets rational erscheinender Überlegungen die Toleranz gegenüber dem, was als Bestrafung erachtet wird. Nicht nur die Figuren, auch der Leser stellen plötzlich erschrocken fest, daß der "Point of no return" überschritten ist ...
Als roter Faden durchzieht das Thema Selbstjustiz den Roman. Damit setzt die Autorin auf einen beliebten Topos, anhand dessen moralische Fragestellungen beispielhaft dargestellt, Gedankenexperimente genüßlich exerziert werden können. Was wäre, wenn Gewalt an Frauen unmittelbar gesühnt werden, langwierige Gerichtsverfahren abgekürzt würden? Was, wenn die vielfach zitierte Dunkelziffer mit dem Licht der Gerechtigkeit erhellt würde? Und vor allem - was ist Gerechtigkeit? Gibt es so etwas wie absolute Wertebegriffe, ein durch alle Kulturen und Zeiten unerschütterliches moralisches Gerüst, das über den Kategorischen Imperativ hinausgeht? Astrid Korten bereichert die literarische Tradition von Schuld und Sühne um ihre eigenen Beispiele und überläßt es dabei dem Leser, seine Sympathien zu verteilen.
Ist dieser nun an den Text gefesselt dem Finale harrend der Meinung, das Wesen des Romans erfaßt zu haben, beweist die Autorin ihre Souveränität im Thriller-Genre. Raffinierte, dabei stets glaubhafte Wendungen erschüttern nicht nur die Eckpfeiler des Erzählgerüsts, sondern auch den Ethikbegriff des Lesers. Die Festigkeit des Fundaments neu überprüfend, Aktionen und Situationen der Handlungen Revue passieren lassend, fühlt dieser sich an den lustvollen Tanz auf dem Eis erinnert, der im Erfolgsroman "Gone Girl" veranstaltet wird. Dabei sorgen die gewählte Erzählperspektive der ersten Person und die Auszüge aus Tagebüchern für zusätzliche Parallelen der beiden Romane. Außerdem lassen sie den Leser eine engere, emotionalere Beziehung zu einzelnen Figuren eingehen, die Wirkung der geschlagenen narrativen Haken somit noch tiefer unter dessen Haut kriechen.
Fazit
Als hätte Gillian Flynn die Desperate Housewives ersonnen, so liest sich der neue Thriller von Astrid Korten, der mit dem verzweifelten Entschluß einer betrogenen Ehefrau beginnt und in einen packenden Strudel aus Tod und Täuschung mündet.